Richert Beil – ‚Aufhören, sich immer gleich mit Paris oder New York messen zu wollen.’’

Richert Beil
Jale Richert & Michele BeilFoto: Peter Wolff

Das Richert Beil Interview erschien in J’N’C News 2/20.

Richert Beil ist eine der spannendsten Brands der Berliner Modeszene. Das liegt nicht nur am Design, sondern auch an den unkonventionellen Präsentationen, dem schrägen Humor und dem politischen Standing hinsichtlich Themen wie Diversität und Rassismus. Mutig sind die beiden Designer Jale Richert und Michele Beil obendrein. Statt sich an offiziellen Terminen und Events der Branche zu orientieren, haben sie kurzerhand drauf gepfiffen und im März ihre eigene Kollektions-Show erfolgreich auf die Beine gestellt.

Ihr habt euch mit Richert Beil längst von den starren Konzepten einer Fashion Week verabschiedet und im März autark eure HW20/21-Kollektion präsentiert. Wie beurteilt ihr die Verlagerung der bisherigen Berlin Fashion Week nach Frankfurt?
Jale Richert & Michele Beil: Es ist noch ein ganzes Jahr bis zur Frankfurt Fashion Week, in der Zwischenzeit werden für uns viele weitere Dinge passieren. Wir hatten bis auf eine einmalige Ausnahme keine wirklichen Berührungspunkte mit den Messen in Berlin. Insofern und auch dadurch, dass wir schon vor einiger Zeit entschieden haben, zukünftig unabhängig zu arbeiten, betrifft uns der Umzug erst mal nicht. Wie sich diese Änderungen auf die Stadt auswirken, bleibt abzuwarten, wir empfinden den Wandel aber generell als sehr positiv und als eine Chance in Berlin konzentrierter zu arbeiten. 

Richert Beil
Richert Beil, Utopia Herbst/Winter 2020 Foto: Presse

Berlin – Modehauptstadt und Heimat der kreativen Szene, das ist ein viel beschworenes Mantra. Auf der anderen Seite wird beklagt, Mode werde unzureichend angesehen und gefördert. Die Deutschen seien nicht modeaffin genug. Was wäre der Best Case für Berlin, um sich als Modehauptstadt zu definieren?
Dass Berlin als Modehauptstadt gesehen wird, liegt vorwiegend daran, dass Berlin eine international anerkannte Metropole ist und die Menschen sich hier sehr frei und stilsicher kleiden. Berlin ist inspirierend und fortschrittlich und zieht daher auch viele Designer an. Man vergisst oft, dass die Deutschen im europäischen Vergleich mitunter am meisten Mode konsumieren, nur sind es leider oft internationale und etablierte Marken, mit denen sie sich sicher fühlen. Wir merken aber deutlich, dass sich der Fokus verstärkt zum regionalen Einkaufen hin entwickelt und davon profitieren wir. Für die Berlin Fashion Week wäre es wichtig, damit aufzuhören sich zu vergleichen. Aufzuhören, sich immer gleich mit Paris oder New York messen zu wollen. Das kann nun wirklich niemand mehr hören und das hat Berlin auch nicht nötig. Die Strukturen, die international greifen, kann man so nicht auf Deutschland übertragen. Man muss doch erst mal etwas Eigenes etablieren, das anspruchsvoll kuratiert ist, bevor man solche Aussagen trifft. Mode fordert viel Gefühl, visionäre Begabung und ästhetisches Verständnis, das ist nicht mit reinem Organisationstalent gegeben. Wir arbeiten jeden Tag an Richert Beil und versuchen uns jede Saison weiter zu entwickeln – und das ist harte Arbeit. Und damit sind wir nicht die einzigen in Berlin und Deutschland. Wer auch immer die Fashion Week in Berlin und Frankfurt jetzt neu gestalten will, muss diese Kriterien berücksichtigen und mit den Designern Hand in Hand gehen – dann kann man sich dieses Potential zu Nutze machen.

Richert Beil
Richert Beil, Utopia Herbst/Winter 2020 Foto: Presse

Von außen betrachtet sieht es oft so aus, als würde in Berlin jeder sein eigenes Süppchen kochen. Wäre es nicht sinnvoll, sich zusammenschließen und eine gemeinsame Plattform zu schaffen, die zumindest eine verbindende Struktur bietet?
Wir sind überzeugt, dass es sinnvoll ist, sich auszutauschen und eine gemeinsame Plattform zu finden. Das Durcheinander in der Berliner Modeszene ist aber schon jahrelang ziemlich festgefahren und nur schwer aufzulösen. Es gibt zu viele verschiedene Plattformen und Vereine, die sich alle einzeln positionieren möchten. Für uns war diese Disharmonie einer der Gründe, diese Strukturen komplett zu verlassen. Es hat uns zu viel Energie und Zeit für die wichtigen Aspekte unserer Arbeit genommen. Neue, eigene Strukturen zu entwickeln und diese unabhängig von Anderen umzusetzen, war ein sehr wichtiger Schritt für uns. Wir sind nach wie vor interessiert und offen für einen Austausch, aber wir haben damit aufgehört zu versuchen, andere mitzuziehen. Wir glauben, dass letztlich ein Wandel, wie er international längst stattfindet, auch für die Berliner Kreativschaffenden und Organisationen unerlässlich ist. Aber wir haben leider nicht die Mittel und die Zeit, das ohne Unterstützung über unsere Brand hinaus voranzutreiben.

Weitere Informationen unter richertbeil.com.