Lieferkettentransparenz – 5 Fragen an Lukas Pünder, Co-Gründer & CEO Retraced

Illustration der Erde
Foto: Elena Mozhvilo, Unsplash

Retraced ist eine Softwarelösung für nachhaltiges Lieferkettenmanagement, die es Modemarken ermöglicht, einen Überblick über ihre Lieferketten zu bekommen, ihre Lieferanten zu koordinieren und ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Dafür arbeiten sie mit mittlerweile mit 45 Modemarken und 1633 Lieferanten zusammen und tragen einen aktiven Teil dazu bei, innerhalb der Industrie für einen vertrauenswürdigen Informationsaustausch zu sorgen. Wie viel Potenzial in dem Düsseldorfer Start-up steckt, hat nun auch Samaipata erkannt, die Retraced erst kürzlich mit einer Seed-Finanzierung in Höhe von einer Million Euro unterstützten. Was sie mit diesem Kapital vorhaben, für wen die Plattform geeignet ist und ob die Relevanz von Nachhaltigkeit wirklich in der Krise zugenommen hat, klärt Co-Gründer und CEO Lukas Pünder in unserem 5-Fragen-Interview. 

Retraced ist eine „digitale Plattform für Nachhaltigkeitsmanagement in der Modeindustrie und stellt Usern ein innovatives Tool zur Kontrolle und Optimierung ihrer Lieferketten bereit“, heißt es. Was heißt das genau? Können Sie mir in Ihren eigenen Worten erklären, für wen Retraced am besten geeignet ist?
Um ihr Nachhaltigkeitsmanagement über Retraced abzubilden, können Marken im ersten Schritt ihre Lieferketten auf Produktebene visualisieren und nachverfolgen. Im nächsten Schritt können die Lieferketten dann mit Daten und Dokumenten gefüllt werden. Jeder Lieferant hat dabei ein eignes Profil, in dem Daten, wie Wasser- und Energieverbrauch, Produktionskapazitäten oder Standort, aber auch Dokumente, wie Zertifikate, Auditreports und Testberichte abgelegt werden können. Im dritten Schritt haben dann die Marken die Möglichkeit die bestehenden Standards mit ihren eigenen Anforderungen voll automatisiert auf der Retraced Plattform abzugleichen, um auf einem Blick zu erkennen, welche Lieferanten bereits den gewünschten Produktionsstandards entsprechen und wo noch ein Compliance Risiko besteht.
Das Spannende ist dabei, dass Lieferanten Teil der Plattform werden können, um ihre Profile selbstständig zu pflegen und mit Daten zu füllen. Dies führt zu besserer Kommunikation zwischen Marken und Lieferanten, effizienter Datensammlung und viel Zeitersparnis für die Marken bei ihrem Lieferantenmanagement.
Ebenfalls haben Marken die Möglichkeit mit Hilfe von Retraced ihre gewonnen Daten aus den Lieferketten an ihre Kunden weiterzugeben, sodass diese im Moment der Kaufentscheidung das Produkt besser kennen lernen können und dadurch eine Informierte Kaufentscheidung treffen können.

Philipp Mayer und Lukas Pünder von Retraced stehen nebeneindern
(v.l.) Retraced Gründer Philipp Mayer und Lukas Pünder Foto: Udo Geisler

Sie haben jüngst eine Seed-Finanzierung in Höhe von einer Million Euro erhalten. Herzlichen Glückwunsch! Wie nutzen Sie dieses neu gewonnene Kapital?
Wir verwenden das neue Kapital vor allem für zwei Bereiche. Zum einen wollen wir unsere Plattformfunktionen weiter ausarbeiten und ausbauen, um das gesamte Compliance Management für Modemarken über Retraced abdecken zu können und um Marken immer mehr Hilfestellung bieten zu können ihre Lieferketten besser zu übersehen und zu verwalten. Zum anderen haben wir mit dem Kapital die Möglichkeit unser Team weiter zu vergrößern, um mehr Marken gleichzeitig auf die Plattform zu bringen und zu betreuen. Dies bedeutet für uns weiteres Wachstum und mehr positiven Einfluss auf die Lieferketten der Modeindustrie.

Digitalisierung und Transparenz haben, bedingt durch COVID-19, einen enormen Boost erfahren. Inwiefern haben Sie mit Ihrer Firma die Pandemie und ihre Auswirkungen zu spüren bekommen? Wo erkennen Sie eventuell sogar Chancen in der Krise?
Zu Beginn der COVID-19 Pandemie haben wir natürlich die starke Verunsicherung in der Modeindustrie gespürt. Das Wachstum war für uns nicht einfach, da Marken stark mit eigenen Problemen zu kämpfen hatten. Doch je länger die Krise anhält, desto mehr haben sich Marken und wir uns auf die Situation eingestellt. Im Nachhinein vermuten wir, dass uns die Corona Krise sogar geholfen hat, um Marken von unserer Idee von Transparenz zu überzeugen. 
Zum einen konnten Marken, die eine gute Übersicht über ihre Lieferketten hatten sowie eine positive Kommunikation zu ihren Lieferanten gepflegt haben, deutlich schneller Lockdowns und resultierende Produktionseinbrüche erkennen, Zwischenlösungen identifizieren und umsetzen. Zum anderen konnten sie transparent die Kommunikation zu ihren Kunden suchen, um zu zeigen, dass sie das Thema Compliance Management ernst nehmen, um dadurch das Vertrauen zu bewahren, das viele Verbraucher aufgrund der egoistischen Handlungen vieler Modemarken verloren haben. Somit sind wir wenig überrascht, dass alle Marken, die frühzeitig mit Retraced zusammengearbeitet haben, grundsätzlich sehr gut auf die Krise reagieren konnten.

Lieferketten-Gesetz
Bundesentwicklungsminister Gerd Mueller, CSU, beim Besuch der Textilfabrik Tivoli Apparels Ltd. in Bangladesch, Dhaka, 25.02.2020. Foto: Presse

Das Thema Lieferkette ist sehr komplex und verworren. Das nun verabschiedete europäische Gesetz soll ein Meilenstein in der Geschichte sein, trifft jedoch nicht nur auf Zuspruch. Unter anderem sind die Wirtschaftsverbände gegen das Gesetz. Was halten Sie davon und wie kann Retraced innerhalb dieses ‚Schussfeuers’ den User:innen helfen?
Wir merken, dass das Thema Nachhaltigkeitsmanagement in der gesamten Modeindustrie stark an Bedeutung gewinnt. Vor allem bei Marken wird der Druck immer höher, angefacht durch ihre Kunden, NGOs aber auch durch neue Gesetze, wie das Lieferkettengesetz in Deutschland oder der neue Entwurf auf EU-Ebene. Grundsätzlich sind wir ein Freund davon, dass Marken gezwungen werden, das Thema Nachhaltigkeit mehr in ihren Fokus zu rücken.
Wir verstehen aber natürlich, dass dies für Marken erstmal sehr schwierig ist. Denn das Problem ist dabei, dass die Lieferketten der Modeindustrie wenig digitalisiert sind und dadurch die Kommunikation zwischen den Teilnehmern sehr schwach ist. Das Ergebnis ist ein sehr hoher Aufwand, um die Komplexität der Lieferketten zu überwinden und die nötigen Daten und Dokumente einzusammeln.
Um nicht in diesen manuellen Prozessen unterzugehen, wollen wir mit Hilfe unserer Plattform Marken helfen. Über Retraced können die Nachhaltigkeitsanforderungen definiert werden, Lieferanten angebunden werden, um die Kommunikation zu verbessern und der aktuelle Stand der Produktionsstandards auf Echtzeitbasis überblickt werden. Dadurch kann das Nachhaltigkeitsmanagement effizienter gemacht werden. 
Unabhängig davon versuchen wir Marken zu zeigen, dass die gewonnene Transparenz nicht nur beim Nachhaltigkeitsmanagement hilft, sondern sich vielmehr positiv auf das gesamte Lieferkettenmanagement und die Produktion auswirkt. Zum Beispiel kann durch bessere Kommunikation mit Lieferanten die Produktentwicklung beschleunigt werden, Engpässe während der Produktion festgestellt werden oder flexibler auf Krisen reagiert werden. 

Endkonsument:innen, vor allem jüngere, fordern, dass Unternehmen ihrer sozialen und ökologische Verantwortung nachkommen. Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft der Modeindustrie aus? 
Wir sind davon überzeugt, dass die Modeindustrie nachhaltig, aber auch transparent wird. Mittlerweile sollten alle Marken gemerkt haben, dass der Wunsch nach Nachhaltigkeit stark wächst. Wer also mittelfristig weiterwachsen möchte und langfristig gefragt sein will, muss auf diesen Verbraucherwunsch reagieren. 
Um dies zu schaffen, muss man als Marke transparente Lieferketten schaffen. Denn dies ermöglicht zum einen effizientes Lieferkettenmanagement und zum anderen schafft es Vertrauen beim Kunden. Der Grund hierfür ist, dass jeder Nachhaltigkeit anders definiert. Um also langfristig Vertrauen zu schaffen, muss gezeigt werden, wie Nachhaltigkeit in der Marke definiert wird und entsprechend umgesetzt ist.

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