„Wir gehen nicht, ohne uns zu verabschieden“ – Ein Interview mit Anita Tillman

Anita Tillmann
Premium-Gründerin Anita TillmannFoto: Boris Kralj

Am Montagmorgen staunte die Modebranche nicht schlecht, als die Premium Group und Messe Frankfurt ihre Partnerschaft für 2021 bekannt gaben, die ab Sommer 2021 in der neu initiierten Frankfurt Fashion Week münden wird. Der Überraschungsmoment ist sowohl der Gastgeberstadt als auch den zwei Kooperationspartnern gelungen. Wir baten daher Anita Tillmann, Managing Director der Premium Group, zum Interview, um die ein oder andere offene Fragen zu beantworten.

Was für eine Woche! Die Entscheidung nach Frankfurt zu ziehen, kam für die meisten tatsächlich sehr überraschend – trotz langjähriger Partnerschaft mit der Messe Frankfurt. Und: Sie polarisiert auch. Es scheint, als würden Sie Berlin den Rücken kehren – immerhin war die Premium mit ihren Messen eine feste Instanz der Berliner Modewoche. Aber: Warum ist es an der Zeit zu gehen?
Ein Überraschungsmoment war geplant, aber das die News so viel Aufmerksamkeit erreget, hat auch uns überrascht. Wobei ich sagen muss, dass sie mit wenigen Ausnahmen die Reaktionen extrem positiv sind. Kritische Stimmen sind dennoch wichtig und müssen ernst  genommen werden. Wir werden diejenigen aber abholen und überzeugen. Ich erinnere mich noch gut daran, welche Ablehnung wir bekamen als wir in Berlin 2003 anfingen – es gab so gut wie kein positives Feedback.
Vor Berlin waren alle in Köln und Düsseldorf, davor in München und jetzt geht es weiter nach Frankfurt. Die Karawane zieht weiter. Wir hatten 18 Jahre in Berlin eine aufregende und gute Zeit und ich bin dankbar dafür. Unsere Messen sind sehr erfolgreich und wir gehen aus einer Position der Stärke. Zeiten und Bedürfnisse ändern sich nun mal und wir brauchen ein neues Narrativ – wirtschaftsstark, zukunftsfähig und es muss um eine Kultur des Miteinanders gehen. Wir müssen unsere Konzepte weiter entwickeln, neu denken, um langfristig und international wettbewerbsfähig zu bleiben und haben auch eine Verantwortung der Branche gegenüber. Frankfurt ist der perfekte Ort, um unsere Visionen und Ideen umzusetzen und das Wir-Gefühl der Branche zu stärken. 

Anita Tillmann
Bei der Live-Übertragung der Pressekonferenz stellten die Veranstalter ihr neues Konzept vor. Foto: Presse

Es ist kein Geheimnis, dass Sie schon lange offen darüber sprechen, dass die klassischen Fashion Weeks der Vergangenheit angehören. Aber war jetzt tatsächlich die Coronakrise notwendig, um diesen Entschluss durchzuziehen oder wurde da schon seit längerem im Verborgenen geköchelt?
Über die Idee eines strategischen Schulterschlusses unserer Messen sprechen wir schon eine ganze Weile. Die Idee, unsere Messen, Partys, Events und Konferenzformate im Juli 2021 nach Frankfurt zu verlegen, wurde im Oktober 2019 sehr konkret. Wir mussten schnell sein. Detlef Braun und ich kennen uns schon seit den Neunzigern aus unserer gemeinsamen Zeit bei Joop.  Und wir arbeiten vielen Jahren mit Olaf Schmidt und dem Team der Neonyt partnerschaftlich zusammen. Wir hatten immer vor, gemeinsam etwas Großes auf die Beine zu stellen, nachdem wir bereits erfolgreich gemeinsame Projekte wie unsere Konferenzformate FashionTech und FashionSustain produziert und zusammen zum Industry Insight Event eingeladen haben mit vielen internationalen Gästen. Wir sind jetzt soweit gemeinsam den nächsten Schritt zu gehen. COVID-19 hat mit unserer Entscheidung nichts zu tun, aber es ist sicher eine Art Steilvorlage und das erklärt auch, warum die Nachricht so positiv aufgenommen wird. Neue Impulse, neue Story. Frankfurt, internationaler Handelsplatz mit jahrhundertealter Tradition. Stabilität, Emotionen, ein neues Wir-Gefühl und am Ende geht es vor allem ums Geschäft. 

Einige haben nach den News vorschnell schlussgefolgert, dass die Berlin Fashion Week zur Frankfurt Fashion Week wird, was schlichtweg nicht stimmt. Nun gaben die Veranstalter der BFW auch bekannt, dass ein späterer Termin für Berlin infrage käme und somit zwei Fashion Weeks in Deutschland stattfinden. Sehen Sie darin eher Vor- oder Nachteile?
Die Frankfurt Fashion Week richtet sich ganz bewusst an eine zukunftsorientierte, digital-affine Fashion- und Lifestyle-Community. B2B, B2C, B2P, P2P – alle Wege sind offen. Wenn Fashion, Lifestyle, Digitalinnovationen und Nachhaltigkeit eine Synthese eingehen – dann entsteht etwas Neues, Unerwartetes. Genau das ist unser Anspruch. Unveiling the Unexpected. Frankfurt ist dafür ein neuer, unverbrauchter Standort und wir entwicklen ein Gesamtkonzept, die Stadt wird eventisiert und miteinbezogen. 

Anita Tillmann
Foto: Evelyn Dragan Foto: Presse

Sie halten die Branche jedenfalls auf Zack. Erst die Ankündigung der digitalen Plattform ‚Premium + Seek Passport’, nun die News über den Umzug nach Frankfurt. Wie behält man dabei die Kontrolle über die Kommunikation mit den Ausstellern und den Medien? Und wie ist das generelle Feedback auf diese Veränderungen?
Unser Team ist im ständigen Austausch mit unseren Ausstellern, Retailern und den Medien. Die langjährigen Beziehungen im Netzwerk basieren auf Vertrauen und Partnerschaften. Das gibt uns die Möglichkeit, Informationen schnell weiterzugeben, sodass nichts untergeht. Das Feedback war bisher sehr positiv! Alle freuen sich auf etwas Neues und wissen: Die Modebranche lebt vom Neuen. Konzepte müssen sich ständig neu erfinden und das müssen wir als Messe natürlich auch, deshalb wird das von der Branche extrem positiv angenommen. Die Zusammenarbeit mit Joor läuft bereits seit über einem Jahr. Viele unserer Kunden, Brands und Retailer, arbeiten bereits mit Joor.  Das der Launch von Joor Passport („die erste Digitale Messe“) genau in den Zeitraum der Pandemie fällt, wo die Aufmerksamkeit für digitale Möglichkeiten so hoch ist, ist schlichtweg Zufall. Die Notwendigkeit vor, während und nach den Messen handlungsfähig zu sein, ist wichtiger denn je. Das Interesse ist groß, vor allem für die Brands, die international aufgestellt sind. 

Sie sprechen immer von einem ‚Neustart’ und ‚neu denken’. Was kann die Premium Group beispielsweise in Frankfurt nächstes Jahr besser oder anders machen, was in Berlin so gar nicht mehr möglich war?
Konzepte haben Halbwertszeiten und obwohl wir uns immer weiter entwickelt haben, stehen wir alle vor den gleichen Herausforderungen und sollten nicht aufhören uns ständig zu hinterfragen und neu zu erfinden. Was sind die Herausforderungen vor denen wir als Modemesse stehen und was betrifft die ganze Branche? Welche Themen spielt man? Wie ist die Stimmung im Netzwerk? Was ist relevant für unsere Zielgruppe? Das sind nur einige der Fragen, die wir uns stellen. Der Ruf der Branche nach einer Zusammenlegung der Formate ist bekannt. Das gibt uns die Möglichkeit neue Brandportfolios zusammenzustellen. Das wird spannend. Wir werden dem Thema Nachhaltigkeit noch mehr Raum zu geben und noch enger mit der Neonyt zusammenarbeiten, nur um Beispiele zu nennen. Das Messegelände ist eines der größten weltweit und hat sehr gute Hallen, die nicht messetypisch sind – somit kann auf einem Gelände alles abgebildet werden: Fashion, Sustainability, New Technologies – mit einem Ticket, an einem Standort. Zudem hat sich die Stadt Frankfurt und das Land Hessen auf allen Ebenen committet, auch finanziell. Die Willkommenskultur ist großartig und großzügig. Es gibt Budget für internationales Guest- und Buyersmanagement; damit können wir Internationalität gewährleisten, was enorm wichtig ist. Es gibt Budget für Stadtmarketing und jeder Besucher und auch jeder Frankfurter wird wissen, das Fashion Week ist. 

Premium + Seek Passport
Foto: Premium Group

Die Messeveranstaltungen und die Catwalks sowie dessen Side-Events wurden seit Jahren vermischt und als Berlin Fashion Week betitelt. Ich erinnere mich an ein Gespräch, wo Sie das klar differenziert haben wollten. Aber sieht das Konzept ab Sommer 2021 nicht ähnlich aus?
Die Begrifflichkeiten sind verwirrend und aus meiner Sicht auch überbewertet. Hätte ich eine bessere Bezeichnung, würde ich empfehlen, es zu ändern. Am Ende geht es um die Qualität der Veranstaltung, darum die richtigen Kontakte zu machen, sich mit Bestandskunden auszutauschen und neue Bekanntschaften zu machen. Kommunikation, Inspiration, Information und Learning zu den Themen unsere Zeit und das Ganze muss auch Spaß machen und Emotionen erregen, bei uns allen. 

Gibt es internationale Vorbilder an denen Sie und Ihre Partner sich orientieren? Oder die sie gar übertreffen wollen?
Die ganze Branche ist im Umbruch. Im besten Fall lernen wir voneinander und arbeiten partnerschaftlich zusammen. Die beiden Marktführer bündeln ihre Kräfte und werden mit ihren individuellen, innovative Ansätzen und Formaten ein fester und strahlkräftiger Bestandteil des internationalen Modemessekalenders und machen Frankfurt zur neuen Trendmetropole. Das Ökosystem der internationalen Mode wird mit neuen Augen betrachtet: Fashion, neue Technologien und Nachhaltigkeit sind intelligent miteinander verzahnt. Mit Applied Sustainability und Applied Digitisation als Content-USPs werden innovative Produkte, Kollektionen, Businesses und Cases für ein vernetztes, nachhaltigeres Wirtschaften in der textilen Wertschöpfungskette präsentiert werden. 

All eyes on Premium: Die Branche blickt neugierig auf die neue digitale Veranstaltung und dann steht der Januar 2021 noch bevor. Aber was macht Anita Tillmann bis dahin und erst recht nach diesen zwei ereignisreichen Wochen?
Zunächst einmal launchen wir Joor Passport Mitte Juli und dann gehen die Vorbereitungen für den nächsten Januar schon los. Der Umzug nach Frankfurt findet erst im Sommer 2021 statt. Vom 19. bis 21. Januar 2021 werden die Premium, Seek und die FashionTech noch hier in Berlin stattfinden. Wir gehen nicht, ohne uns zu verabschieden. Es werden alle eingeladen, die mit uns in Berlin großgeworden sind und uns begleitet haben, wir feiern ein großes Danke Berlin und Welcome Frankfurt und werden die neuen Konzepte, Netzwerke und Player vorstellen. Wir haben uns viel vorgenommen und müssen jetzt liefern. Von nichts kommt nichts.