Happy to be here! Re-Thinking Retail und was suchen wir eigentlich in einem Store?

Lynk & Co.
Lynk & Co. SpaceFoto: Presse

Was suchen wir eigentlich in einem Store? Ein Gefühl. Unabhängige Einzelhändler und junge Brands setzen auf emotionale Storekonzepte, die weitaus mehr sind als reine Warenpräsentation: eine ganz eigene Welt. Ein holistisches Erlebnis, das losgelöst von Branche oder Produkt fesselt und begeistert. Das Motto: Re-Thinking Retail.

Die Zeiten für den stationären Handel könnten herausfordernder nicht sein. Krisen, Kriege und Rezession bremsen das Konsumklima und drosseln die Frequenz in den Innenstädten, deren Charakter durch Filialisten ohnehin stark gelitten hat. Die aktuelle Studie ‚Vitale Innenstädte 2022‘ des IFH Köln zeigt: Besucherfrequenzen in den Einkaufsstraßen Deutschlands haben zwar langsam zugelegt, erreichen aber noch nicht das Vor-Corona-Niveau. Gegen das Ladensterben, mit dramatischen Leerständen selbst in 1a-Lagen attraktiver Großstädte, stemmt sich eine neue Generation erlebnisorientierten Einzelhandels mit kreativen Konzepten und einem stimmigen Dreiklang aus Storytelling, Styling und Service.

Brands denken die Inszenierung von Produkten neu, wie etwa das Amsterdamer Accessoire-Label Property of. Spezialisiert auf Rucksäcke, Taschen und Reiseaccessoires, weckt es in seinen Geschäften das Gefühl von maximalem Fernweh. Flyer im Retro-Postkarten-Design, opulente Outdoor-Bildbände, Trinkflaschen, Mappen und Globusse reihen sich zwischen üppigen Palmen ein in das  nachhaltige Taschen-Sortiment des Labels. Und zum obligatorischen Espresso werden auf Wunsch persönliche Reisetipps gereicht. In den Stores des dänischen Schmucklabels Manesteen taucht man ein in bonbonfarbenes Gesamtkunstwerk aus flauschigen Boho-Teppichen, schwebende Wolken und deckenhohen Säulen aus Trockenblumen, Palo Santo Duft und funkelnde Amethysten. Spirituelle Symbolik aus Sternzeichen, Yin-Yangs und Moon Mantras trifft dabei den Nerv der Gen-Z. In dieser überbordenden Welt muss man zwei Mal hinsehen, um die filigranen, in Jaipur handgefertigten Schmuckstücke zu entdecken. Beide Beispiele zeigen, dass es heute bei Storekonzepten das eigentliche Produkt nicht mehr unmittelbar im Mittelpunkt steht. Was zählt ist das ‚Wow!‘ – und der Wiedererkennungswert.

Re-Thinking Retail: „Take a moment with us“

Mitten im Trubel der Kopenhagener Fashion Week schreibt die dänische Marke Holzweiler in geschnörkelter Schrift auf ihrem Schaufenster eine einfache Einladung aus: ”Take a moment with Holzweiler“. Je lauter und bedrohlicher die Welt draußen, desto begehrlicher wirkt die Harmonie, Ruhe und Behaglichkeit mancher Stores. Wellness und Selfcare liegen im Trend. Nachhaltigkeit sowieso. Yoga Props, Naturkosmetik, Matcha Tee, Heilsteine und sanfte Pflegeprodukte für langlebige Textilien verheißen zudem Shopping das sinnstiftend ist – wenn auch nur für das eigene Wohlbefinden. 2022 hat Galeries Lafayettes in Paris sein gesamtes Untergeschoss in eine 3.000 Quadratmeter große ‚Wellness Galerie‘ verwandelt – einen pastellfarbenen Cocooning-Tempel für Schönheit, Selbstpflege und Sport. Clean Cosmetic kleiner Brands trifft hier auf Massagekabinen, ein Yoga- und Sportstudio und ein einladendes Health Food Restaurant. Es ist ein Rückzugsort für Rituale – mitten in einem Kaufhaus, wohlgemerkt.

Aylin König
Aylin König Store in Hamburg
Foto: Presse

Helles Holz, softe Farben, großzügige Weite: Betritt man den neuen Flagship Store von Aylin Koenig in Hamburg, hat man automatisch das Bedürfnis ganz tief ein- und auszuatmen. Die Influencerin zeigt in ihrem ersten stationären Geschäft puristisches Tailoring und soften Strick in maximal minimalistischer und dennoch wohliger Umgebung. Safe Space: Shopping. Wohlfühlorte, die den Lärm und die Hektik der Innenstadt vergessen lassen, bieten aktuell einen idealen Rahmen, sich etwas zu gönnen – sei es auch nur ein Moment für sich.

Emotion und Eskapismus!

Statements auf Spiegel. Wordings auf Wänden. Graphics auf dem Gehweg. Dass gestalterische Elemente für Aufmerksamkeit sorgen, Emotionen wecken und mit Vorliebe fotografiert und geteilt werden, ist bekannt. Unterschätzt wird aber oft die Macht der Umkleidekabine, dabei fällt spätestens hier die Kaufentscheidung. Von Zelt-Optiken im Glamping-Stil, über Farbe allover in Electric Blue bis zur Kabine in rosa Plüschfell – immer mehr Stores ersetzen Neutralität und optimale Lichtverhältnisse durch eine auffällige Optik mit Überraschungseffekt. Schließlich werden Spiegel Selfies nicht nur mit Freunden geteilt, sondern gleich im öffentlichen Feed. Shopping als Eskapismus – und Eskapismus als Ware. Pop-Up-Flächen mit saisonalen Lifestylethemen wie Beach- und Holidaywear oder Pet Accessories können Impulskäufe generieren und beeinflussen auch den Hospitality-Faktor eines Stores. Passend zum Vacation-Trend eine Flasche Peroni anbieten, hausgemachtes Infused Water und Hundesnacks für die vierbeinigen Begleiter – man muss nicht erst alle Tik-Tok-Trends auswerten, um zu wissen, was der gutinformierten Zielgruppe gefallen könnte. Man kann sich als Retailer auch fragen: Was ist mir denn selbst positiv aufgefallen? Beim letzten Restaurantbesuch? Im hippen Cold Brew Café? Einem Besuch im Museum oder Möbelgeschäft? Inspiration und Ansätze für mehr Emotion und Erlebnis am PoS findet man über dem Tellerrand des Modehandels hinaus. Zumindest aber angesagte Zusatzprodukte, die einen neben dem üblichen Mix aus Interior, Büchern und Beauty vom Wettbewerb differenzieren. Aktuell im Gegentrend zur Achtsamkeit: Coole Boutique Drinks, hippe Dosencocktails und kunstvoll etikettierte Weine junger Winzer zeugen von der Sehnsucht nach Genuss und Ausgelassenheit und finden ihre gesellige Entsprechung in Store Events wie Wine Tastings in Kooperation mit lokaler Gastro oder Kollektions-Launch-Parties in Kollaboration mit Love Brands.

Mehr‘ machen

Kunden zu Fans und Followern zu machen, dabei Bewährtes zu hinterfragen und Erwartungen zu übertreffen, funktioniert auch über die Produktauswahl hinaus. In dem Anfang März 2023 eröffneten Düsseldorfer Concept Store The Qool setzen Betreiber Boris Mirkovic und Nikita Kvitkin auf ein kuratiertes Sortiment an Mens- und Womenswear, ergänzt um Bücher, Interior und Parfums, was den Laden innerhalb weniger Wochen zum beliebten Treffpunkt einer kreativen Community machte. Das ist bei weitem nicht alles: Im Luxushotel Breidenbacher Hof können sich Hotelgäste mittlerweile per iPad im Sortiment von The Qool stöbern und sich die die persönliche Auswahl per Lastenrad ins Hotelzimmer liefern lassen. Auf Wunsch bietet Boris Mirkovic Kunden auch begleitetes Personal Shopping jenseits seines Stores an – in der gesamten Innenstadt.

‚Mehr‘ zu machen bedeutet nicht zwangsläufig mehr Ware und mehr Risiko. Sondern um die Ecke zu denken, an ungestillte Bedürfnisse seiner Kunden oder an Win-Win-Kooperationen und Pop-Up-Sales mit lokalen Hotels, Kunstgalerien, Blumenboutiquen oder anderen Händlern, auch aus Bereichen wie Tech und Mobility. Denn Fashion ist und bleibt ein attraktives Segment, an das auch branchenfremde Unternehmen andocken wollen. Die Automobilmarke Lynk & Co setzt in ihren ‚Clubs‘ von Mailand bis Hamburg auf eine instagramable Mischung aus Co-Working Space, Café, Fashion Store und Info Point für shared mobility. Hier kann man nachhaltige Mode kaufen, einen Kaffee trinken, arbeiten und sich über die neuesten Autos informieren. Aber auch Lesungen besuchen und sogar Salsa tanzen. Lynk & Co vereint somit auf kleinstem Raum, was sich die befragten Passanten der Kölner IFH Studie von ihren Innenstädten wünschen: Einen Mix aus Shoppingangeboten, Kunst, Kultur sowie Gastronomie. Begegnungsorte, die zum Verweilen einladen. Fashion Retail kann in Zukunft alle sein: Konzeptfläche, Showroom und interaktiver Hub für Communities mit maximaler Aufenthaltsqualität. Er sollte aber bereits beim Betreten ein Gefühl erzeugen: Happy to be here!