Guðrun & Guðrun: Making wool cool again

Guðrun & Guðrun
Guðrun Ludvig und Guðrun RógvadóttirFoto: Presse

Knapp 53.000 Menschen leben auf den Färöer-Inseln im Nordatlantik, darunter beinahe doppelt so viele Schafe und ein Stricklabel mit großen Plänen. Ein Besuch im Atelier von Guðrun & Guðrun.

Nebelumhüllte Berge, die aus dem tiefblauen Wasser des Nordatlantik ragen, prägen die Färöer-Inseln. Genau zwischen Schottland und Island gelegen, ist die Inselgruppe für endlose grüne Felder, charmante Fischerdörfchen und steile Klippen bekannt, in denen Papageientaucher nisten. Und für ein Modelabel, das es bereits bis in einen Onlinebeitrag der amerikanischen Vogue schaffte. „Unser großer Traum ist es, einen Shop in Tokio zu eröffnen“, erzählt Guðrun Ludvig, als wir gemeinsam eine enge Holztreppe erklimmen. Sie ist eine der beiden Gründerinnen, die sich des gleichen Vornamens erfreuen. Guðrun ist für das Design verantwortlich, ihre Business-Partnerin Guðrun Rógvadóttir hat einen Hintergrund in Political Science und kümmert sich ums Geschäftliche. Wir sitzen im Dachgeschoß des Hauses, das dem Label Guðrun & Guðrun als Atelier, Store und Lager dient. Hier in der 13.000 Einwohner reichen Hauptstadt Tórshavn geht es beschaulich zu, ja sogar friedlich, möchte man sagen. Massentourismus gibt es nicht, das Regierungsviertel besteht aus roten Holzhäuschen mit grasbedeckten Dächern und neben dem Shoppingcenter grasen Schafe. Von denen gibt es auf den Färöer-Inseln gleich doppelt so viele wie Menschen und sie sind auch der Grundpfeiler für das Modelabel, in dessen Atelier ich mich gerade umsehe. Fade Pullis gibt es bei Guðrun & Guðrun nicht, ihr Erfolgt basiert auf frischen und luftigen Designs in zarten Farben, oft mit Neon-Details oder spannenden Mustern. Strick soll das ganze Jahr über getragen werden, gerne auch als All-Over-Look mit Top, Rock und Beinkleid.

Das Gold der Färöer

„Alles begann mit unserem Signature Piece, dem Pullover ‚Vón‘. Er ist eine minimalistische Version des Pullovers, den mein Vater besaß“, erzählt mir Guðrun, umringt von Wollknäueln, Knöpfen und Skizzen. Früher konnte man an dem speziellen Familienmuster dieser Pullover verschollene Seemänner wiedererkennen, die vom Meer wieder an Land gespült wurden. Bis heute besitzt wohl jeder Mann auf den Inseln so einen Seemanns-Pullover – und dank Guðrun & Guðrun auch immer mehr Menschen weit über die Grenzen hinaus. Davor nicht mehr als normale Arbeitskleidung, erhoben die beiden dieses traditionelle, schwere Kleidungsstück zum Fashion Piece und gaben ihm neue Leichtigkeit und Wertigkeit. Das war auch höchste Zeit, denn stricken war auf den Färöer-Inseln schon lange Zeit eine eher angestaubte Beschäftigung. „Es gibt ein Sprichwort hier: Ull er føroya gull. Es bedeutet, dass Wolle das Gold der Färöer ist. Im Winter hält sie dich warm, im Sommer ist sie atmungsaktiv und sogar dem Regen kann sie trotzen. Jahrzehntelang wurde das meiste Schafsfell hier aber weggeworfen und die Wolle verbrannt. Es gab einfach keinen Markt dafür und das Schafsfleisch war nützlicher. Mit unserer handgestrickten Kleidung aus lokaler Schafwolle wollen wir die Meinung der Leute ändern.“ In großen Mengen verbrannt, setzt das Lanolin in der Wolle noch dazu schädliches Kohlenmonoxid und Kohlendioxid frei. Hier ist es also tatsächlich nachhaltiger, Kleidung aus der Schafwolle zu produzieren.

Menschliche Strickmaschinen

Im Jahr 2002 begannen die beiden mit Hilfe lokaler Strickerinnen, die ersten Pullover zu fertigen. Frauen aus der Familie oder dem Freundeskreis, viele davon stricken immer noch fleißig für das Label, manchmal auf Hochtouren. Strickerin Igun wird auf der Website beispielsweise zum eintausendsten Pullover gratuliert. Aber auch die versierte Dame mit den geschickten Fingern, die 90 Pullover in nur 100 Tagen schafft, konnte bald nicht mehr mit der wachsenden Nachfrage mithalten. „Die Leute sind es nicht mehr gewohnt, warten zu müssen. Sie wurden böse, weil wir mit der Nachfrage nicht mithalten konnten. Als wir ihnen dann erklärten, dass wir diesen Pullover per Hand stricken, waren sie überrascht. So sehr sind wir bereits an Massenware gewöhnt“, erinnert sich Guðrun Ludvig. Das Label musste bald Unterstützung von Außerhalb der Inseln suchen, was außerdem noch andere Gründe hatte, wie sie erzählt: „Für uns war es wichtig, die gleiche Art von Nähe und Respekt zu bewahren, als wir unsere Produktion nach Jordanien und Peru ausweiteten. Wir sind dort Teil eines Female Empowerment Programms und wollen diesen Frauen in die Augen schauen können und wissen, dass wir ein faires Geschäft haben. Beim Wachstum geht es nicht nur darum, dass wir von der Herstellung von Stricksachen leben können, sondern auch darum, dass es in Jordanien und Peru einige Frauen gibt, die auf uns angewiesen sind. Das ist eine viel größere Verantwortung, als nur schwarze Zahlen zu schreiben.“ Guðrun erzählt von einer Flüchtenden aus Syrien, die sich dank des Geldes, das sie mit dem Stricken für das Label verdient hat, erst leisten konnte, in einem Krankenhaus zu entbinden oder stolzen Müttern, die dadurch die Universität für ihre Kinder finanzieren. Ein schöner Kreis, der sich hier schließt. Denn das Aushängeschild des Labels, der Pullover „Vón“, bedeutet übersetzt „Hoffnung“.

Guðrun Ludvig und Guðrun Rógvadóttir
Guðrun Ludvig und Guðrun Rógvadóttir
Foto: Presse

Platz für Konkurrenz

Als Designerin lässt sich Guðrun auch gerne von den Kulturen ihrer Strickerinnen inspirieren. So finden sich mittlerweile nicht nur Färöerische Muster in der Kollektion, sondern auch Elemente aus Jordanien und Peru. „Wir sind Schafwolle natürlich immer noch treu, allerdings mischen wir sie manchmal mit hochwertiger Alpakawolle. Fühl mal, du wirst den Unterschied spüren“, sagt Guðrun verschwörerisch. Ich lasse meine Finger über den Strick streifen und begreife. Naturbelassene Färöerische Schafwolle hat einen Nachteil: Sie ist etwas fester und kratziger als Merino und Co. Die beiden fingen daher an, sie mit Alpakawolle und importierter Schafwolle zu mischen. „Außerdem muss man einfach kreativ sein, die Designs an die Wolle anpassen und nicht umgekehrt“, sagt Guðrun Ludvig, als sie einige alte Stücke und Prototypen aus dem Regal zieht. „Hier habe ich beispielsweise Baumwolle rund um den Kragen eingesetzt, denn das ist die Stelle, wo Wolle am intensivsten kratzt.“ Ärmellose Kleider aus hauchzartem Strick, asymmetrische Tops aus Alpakawolle – täuschend ähnliche Teile sah ich keine halbe Stunde zuvor, als ich einen Store auf der anderen Straßenseite besuchte. „Ja, ich weiß“, lächelt Guðrun wissend, als ich laut darüber nachdenke, „Das Label gibt es seit etwa einem Jahr und die Ähnlichkeit ist uns auch schon aufgefallen. Aber weist du was, das ist doch gut so. Denn mit unserer Arbeit kämpfen wir schließlich alle für eine Sache, nämlich der Schafwolle wieder mehr Wertigkeit zu geben. Konkurrenz schadet da nicht“. Platz hat man hier schließlich genug, genauso wie Schafe.

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