Was ist weiblich? Was ist männlich? Und wie sollte die Mode dafür aussehen? Designerin Rebekka Ruétz räumt zum Herbst/Winter 2022 mit Klischees auf und präsentiert eine neugeschriebene Identität. Ein Interview über Gender-Normen, warum Nachhaltigkeit eine Herzensangelegenheit ist und was sich seit ihrer Labelgründung nicht verändert hat.
Deine AW22 Kollektion ist eine Ode an den Wandel der Weiblichkeit, beziehungsweise die Vision einer pluralistischen Weiblichkeit, die eine Koexistenz von mehreren Eigenschaften erlaubt. Was bedeutet das auf deine Mode übertragen?
Die Vorstellung, was hübsch oder sexy ist, veränderte sich enorm in den letzten Jahren und machte Platz für das Emanzipierte, Bequeme und Selbstbewusste. Es geht darum, Weiblichkeit in verschiedensten Weisen zu verstehen, wo Bewährtes und Aufstrebendes, Traditionelles und Modernes, Weibliches und Männliches koexistieren und verschmelzen kann. Die Farbpalette und Kollektion entstand in Zusammenarbeit mit Syoss. In den Kleidungsstücken meiner AW22 Kollektion finden sich abstrakte Haar-Prints und starken Farben. Weiche, bequeme Materialien werden für locker sitzende Kleidung verwendet, die sich mit dem Körper bewegen. Asymmetrische Schnitte mit verschiedenen Silhouetten und Raffungen werden verwendet, um Volumen und Form zu erzeugen. Materialien wie feine Baumwolle, Wolle, transparente Spitze, veganes Leder und weiche wattierte Prints machen es einfach, sich wohl zu fühlen. Kleider sind simpel und entspannt geschnitten; Trenchcoats sitzen locker; Röcke werden mit asymmetrischen Blusen oder Tops getragen. Das typische Klischee, dass feminine Mode sexy und unbequem sein muss, wird somit aufgeräumt.
Frauen haben sich in der Geschichte der Mode mehrmals ihre Freiheiten zurückgeholt und so ihrem Innersten visuell Ausdruck verliehen. Damals galt das Weglassen eines Korsetts als frivol, dann die Hose als skandalös, irgendwann kam der rebellische Minirock, dann das aneckende Power-Dressing und und und. Aber was ist heute das disruptive Wardrobe-Piece einer Frau?
Ich finde, das disruptive Wardrobe-Piece heutzutage ist an sich kein Piece mehr, sondern die Möglichkeit sich als Frau täglich so kleiden zu können, wie Frau es möchte ohne sich auf einen Stil oder eine Richtung festlegen zu müssen: Heute bin ich frivol, morgen skandalös, am Mittwoch sexy, beim Meeting rebellisch und am Casual Friday ohne Make-up.
Woran orientierst du dich beim Entwerfen einer Kollektion? Was hilft dir dabei, deiner Vision treu zu bleiben?
Die Designs meiner Kollektionen entstehen jede Saison auf eine etwas andere Art und Weise, je nachdem, was mich inspiriert. Manchmal starte ich mit einer tollen Make-up-Idee, einem neuen Print oder ich sehe eine Location, lese einen Satz in einem Buch, höre eine Zeile in einem Song und baue meine Ideen dann darauf auf. Zudem versuche ich mich in jeder Saison neu zu erfinden und aus meiner Gewohnheit auszubrechen, was sich teilweise schwieriger gestaltet als man annehmen könnte! Als Mensch verändert man sich laufend mit der Zeit und diese Freiheit möchte ich auch meinem Label und meiner Kreativität ausleben.
Apropos Zeit: Über Nachhaltigkeit in der Mode wird viel gesprochen und versprochen, aber letztlich ist es noch ein langer steiniger Weg bis zum Ziel. Und viel Zeit bleibt auch nicht mehr. Mit deinem Label wollt ihr möglichst wenig Impact auf die Umwelt ausüben. Welche Nachhaltigkeitsmaßnahmen werden daher bei euch bereits jetzt umgesetzt und an welchen Hürden könnte man regelrecht scheitern? Was sind eure gesteckten Ziele in Sachen Nachhaltigkeit für die nächsten Jahre?
Wir haben uns der ‚Slowfashion’ verschrieben und produzieren nur zwei Kollektionen im Jahr. Unsere Kollektionen und Muster werden zudem lokal in Deutschland und Österreich von ganz wunderbaren Schneider:innen gefertigt. Bezüglich unserer Materialien und Stoffe setzen wir ausschließlich auf Lagerware und produzieren nur wenn unbedingt notwendig neue Stoffe – wie beispielsweise die Spezial-Drucke der letzten Kollektion, die dann in kleinen Mengen aus nachhaltiger Baumwolle produziert wurden. Zudem verkaufen wir viele Pieces nach dem Made-to-Order-Prinzip, beziehungsweise in limitierten Mengen getreu dem Motto ‚Weniger ist Mehr’.
Oft re-designen und upcyceln wir auch unsere Lagerware, die Kund:innen zum Beispiel nicht abgeholt haben oder nicht verkauft wurden und hauchen ihnen so neues Leben ein.Die Challenge dabei ist, Kund:innen zu finden, denen das Thema Nachhaltigkeit ebenso am Herzen liegt wie uns und dafür bereit sind die etwas höheren Produktionskosten zu tragen. Unser Ziel für die kommenden Jahre ist unseren Nachhaltigkeitsfokus weiter auszubauen aber auch preislich anzupassen, um so eine breitere Zielgruppe zu bedienen und für jeden zugänglich zu machen.
Rewritten Identity, der Titel deiner AW22-Kollektion, wirft die Frage auf, was sich in den vergangenen 13 Jahren am meisten in Bezug auf dich und deine Labelidentiät verändert hat und was noch genauso ist wie am ersten Tag?
Die letzten 13 Jahre waren eine aufregende Reise, sowohl für mich als auch für mein Label. Am Anfang wollte ich mit meinen Kollektionen unbedingt gefallen und dachte, dass ich in ein bestimmtes Muster passen müsste. Das hat mehr schlecht als recht geklappt. Deshalb habe ich irgendwann beschlossen, mir die Freiheit in meiner Arbeit zu nehmen, nur das zu tun, was ich tun möchte und kann. Diese Umstellung hat so große Freude in meine Arbeit gebracht und schlussendlich auch den Erfolg. Heutzutage ist es mir egal, wenn meine Designs nicht jeden begeistern, Hauptsache ich bleibe mir als Designerin treu. Was noch genauso ist, wie am ersten Tag? Ich liebe meine Arbeit!
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