5 Fragen an Frederik Sturm, Arys

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Frederik Sturm, Gründer ArysFoto: Presse

Das junge Berliner Label Arys wurde erst 2014 gegründet und erlebt jetzt die mitunter größte Herausforderung, die es sich hätte vorstellen können. Gründer Frederik Sturm bleibt zwar Optimist, steht dennoch vielen Strukturen der Modebranche sehr kritisch gegenüber. Wie er sein nachhaltiges Outerwear-Label durch die Krise manövrieren möchte und warum auch diese Pandemie ‚keine Götterdämmerung für die Branche’ sein wird, erklärt er uns im Interview.

Jeder erlebt die Corona-Krise anders. Kannst du uns kurz einen Einblick in eure aktuelle Situation geben? 
Die Situation ist schwierig. Der Winter war schon viel zu warm und dementsprechend nicht gerade förderlich für den Jackenverkauf. Mit wenig Rückenwind sind wir dann in die Corona-Krise geschlittert. Da wurden wir echt auf dem falschen Fuß erwischt. Anfang März wäre eigentlich auch der Zeitpunkt gewesen, an dem der Handel seine Order für den nächsten Winter platziert. Verständlicherweise haben viele darauf verzichtet, weswegen wir alles erstmal auf Eis legen mussten. Das hat uns bedauerlicherweise die ganze Jahresplanung verhagelt. Bei uns standen tolle Projekte in den Startlöchern, welche wir auf unbestimmte verschieben mussten. Des weiteren haben wir zwei Stores in Berlin, die nun geschlossen sind. Eine derartige Situation steht in keinem Businessplan dieser Welt. Glücklicherweise hat unsere Regierung aus meiner Sicht gut reagiert. Die akuteste Bedrohung, dass ich einen Großteil meines Teams verliere, konnte dadurch abgewendet werden. Jetzt arbeiten wir gemeinsam an konstruktiven Lösungen um Arys am Leben zu erhalten.

Viele suchen in der Krise auch die Chance. Welche Learnings könnt ihr bereits daraus ziehen?
Ich bin von Haus aus Optimist! Uns hat es erstmal den Boden unter den Füßen weggezogen, aber schnell wurde mir auch klar, dass sich hier eine einzigartige Chance auftut. Die Modebranche ist ein hartes Pflaster, welche kontinuierlich nach Neuheiten lechzt. Wer ernsthaft mitmischen möchte, muss viel auf sich nehmen, um den Big Playern nur ansatzweise die Stirn bieten zu können. Mein Unternehmen fühlt sich oft wie ein Schnellzug an, der mehr und mehr mit neuer Ware, neuen Strategien und neuen Leuten beladen wird und damit kaum mehr zu bremsen ist.  Wichtige Entscheidungen müssen zu schnell getroffen werden und Prozessoptimierungen fallen oft hinten runter, da wir durch das Saison-Geschäft ständig unter Zugzwang stehen. Diese Rasanz ist leider das Gefährliche in diesem Business. Aber jetzt ist wirklich das Undenkbare passiert. Der Corona-Virus hat die Bremse betätigt und den Zug fast zum Stillstand gebracht. So eine Situation ist einmalig und muss einfach als Chance gewertet werden. Jetzt haben wir die Möglichkeit jeden Stein nochmal umzudrehen und Prozesse zu hinterfragen und zu optimieren. Vielen Unternehmen und Branchen offenbart sich jetzt ein fragiles Fundament auf dem jahrelang Strukturen errichtet wurden. 
In unserem Fall gilt das beispielsweise für die Wertschöpfungskette. Wir bieten faire, funktionelle und anspruchsvolle Bekleidung für einen ‚guten’ Preis an, damit sind wir aber zwangsläufig sehr straff kalkuliert, was uns nun auf die Füße fällt. Es war uns durchaus bewusst, dass es nicht optimal ist, aber es brauchte  jetzt eine Krise um wirklich tätig zu werden.
Glücklicherweise spielt uns unsere Philosophie des ‚langlebigen Designs’ sehr in die Karten. Unsere beliebtesten Produkte sind Durchläufer, die wir auf Lager haben. Das stimmt uns in diesen schwierigen Zeiten sehr zuversichtlich und verschafft uns sicherlich den ein oder anderen Vorteil. 

Die Berliner Messen werden offiziell diesen Sommer nicht stattfinden. Was bedeutet das für Marken wie Arys?
Mir tun die Organisatoren sehr leid, für die solche Großveranstaltungen ihr Brot und Butter sind. Aber ich habe Vertrauen in die politischen Maßnahmen und bin mir sicher, dass es Alle überstehen werden. Natürlich fehlt uns im Sommer die Sichtbarkeit, aber auf der anderen Seite sparen wir  auch viel Geld. Man sollte nicht vergessen, dass die Vorbereitung von bis zu vier Messen pro Saison sehr kostenintensiv ist und mit viel Zeitaufwand für das ganze Team verbunden ist. 

In Zeiten wie diesen stellen wir fest, wie unser Konsumverhalten tatsächlich ist. Viele halten sich zurück, weil sie keinen Bedarf sehen, aber auch vorsichtiger mit ihren Finanzen umgehen. Hinzu kommt, dass in vielen Unternehmen Kurzarbeit eingeführt wurde und somit das Einkommen neu aufgestellt wird, um es mal positiv auszudrücken. Dennoch rufen einige dazu auf, da wo man kann, weiterhin zu konsumieren, die anderen sehen gerade jetzt die Chance, das System neu aufzustellen. Wie siehst du das?
Ehrlich gesagt wage ich es kaum für unseren Europäischen Markt eine Prognose abzugeben, da während und nach einer Krise so viele unvorhersehbare Dynamiken entstehen. Natürlich wünsche ich mir, dass die Menschen noch gewissenhafter konsumieren und sich noch mehr mit einzelnen Produkten auseinandersetzen. Aktuell habe ich auch das Gefühl, dass viele Leute in sich kehren und ihr Konsumverhalten reflektieren, besonders in Bezug auf Fast Fashion. Das würde uns natürlich sehr in die Karten spielen, da ein derartiges Umdenken in unsere nachhaltige Philosophie passen würde. Es ist gut möglich, dass dieser Fall eintritt und ein Umdenken beschleunigt wird, aber genauso gut kann es auch sein, dass nach der Krise wieder ‚business as usual’ ist. Während der Finanzkrise 2009 hieß es auch, dass die Welt bzgl. Konsum eine Andere sein wird. Am Ende haben sich die Meisten schnell erholt und die Kaufkraft schien höher als zuvor. Allerdings entwickelt sich die Corona-Krise zu einer deutlich größeren Herausforderung. Aber so ungewiss wie der Verlauf dieser Pandemie aktuell noch ist, so ungewiss ist auch das Konsumverhalten der Europäer nach der Krise.  

Auch wenn am Ende alles ganz anders kommen kann; wie wird sich deiner Meinung nach die Welt, spezifisch unsere Branche, nach der Corona-Krise aufstellen?
Beleuchtet man die verschiedenen Bereiche der Branche würde ich folgende Einschätzungen wagen: Im globalen Verbraucherverhalten wird sich nicht viel ändern. Die Asiatischen Märkte sind im Modebereich mittlerweile die einflussreichsten und die Menschen dort haut so schnell nichts um. Den stationären Handel wird es in Europa hart treffen. Vielen ging es vor der Krise schon schlecht, da das etablierte Saisongeschäft sowohl für die Marken, als auch für die Händler tödlich sein kann. Das beste Beispiel ist der anfangs erwähnte warme Winter. Es werden sechs bis zehn Monate vor Auslieferung schon Kauf- bzw. Produktionsentscheidungen getroffen und dann kann alleine das Wetter jegliche Umsatzplanung zunichte machen. Das ist Risiko pur und schreit geradezu nach neuen Strukturen. Produzenten müssen mit Mindestmengen den Marken mehr entgegenkommen, weil man sich zu häufig das Lager mit Ware überflutet, die man nur noch für schlechtes Geld losbekommt. Hersteller müssen noch flexibler werden und sich mehr auf ein On-Demand Geschäft einlassen. Nur so wird das Risiko für alle minimiert. Das führt allerdings zu höheren Endverbraucherpreisen, was gerade Fast Fashion Unternehmen nicht wollen. 
Es gibt viel, was sich verändern muss und sicherlich ist jetzt die beste Zeit, Maßnahmen einzuleiten. Ich glaube aber nicht, dass die Corona-Krise eine Götterdämmerung für die Branche wird. 

Weitere Informationen unter arys-berlin.com.