Powersharing – Eine Frage der Vielfalt

Vielfalt
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Wenn es um Themen wie Diversität und Inklusion geht, wird gleich immer heiß diskutiert, denn es gibt auch gleich zwei Gruppen: die, die betroffen sind und die, die nicht betroffen sind. Ich spreche mit diesem Artikel aller Wahrscheinlichkeit nach auch zwei verschiedene Lesergruppen an – und doch geht das Thema uns alle etwas an. 

Gleich vorweg: Ja, es gibt Menschen, die davon grundsätzlich, aus einer Ignoranz heraus, genervt sind. Es stört sie, dass sie jetzt alles ‚richtig’ machen sollen, weil sie nicht (ein)sehen, etwas falsch zu machen. Einige finden es einfach nur übertrieben, die anderen haben keine Ahnung. Aber genau darum geht es ja. Diversität ist wie Nachhaltigkeit. Man muss den Hintergrund verstehen lernen, also Wissen aneignen, auch mal sein eigenes Ego bei Seite schieben, um klar zu erkennen, wo Ungerechtigkeiten herrschen und welches Potenzial in diverse, inklusive Gesellschaften und abgeschafften Zugangsbarrieren steckt.
Als jemand, die als Deutsch-Filipina selbst zwei Nationalitäten im Herzen trägt, ist die Auseinandersetzung mit Diversität und Inklusion eine ausschließlich fortschrittliche Entwicklung. Nichtsdestotrotz wird – wie vieles in unserer Branche – trendbedingt einiges nur aus Trend mitgemacht. Warum Diversität aber emphatisch verstanden werden muss?

Die Erwartungen an Unternehmen, gerade an Modemarken, sind hoch. Der Druck von außen wird größer. Wer nicht mitmacht, könnte nach hinten abfallen. Denn das kollektive gesellschaftliche Bewusstsein ist durch viele tragische Ereignisse, vor allem aus der jüngsten Geschichte der USA, gegenüber systematischen Rassismus, derart verstärkt worden, dass auf Erkenntnisse Taten folgen müssen – und ja, auch in der Modewelt. Denn: ‚Representation matters’ und wo wird nach außen hin mehr repräsentiert als bei uns? Das offensichtlichste Beispiel: Models.
Einigen Modelabels gelingt die authentische Vielfalt beinahe mühelos. Andere wiederum scheinen, nicht weiter nachgedacht, auf Quoten zu setzen und glauben, ihre Arbeit sei damit getan. Ich meine damit eine Art Checkliste, die man abzuarbeiten scheint: schwarzes Model? Check. Ein Model mit asiatischen Gesichtszügen? Check. Ein Curvy-Model? Check. Ein homosexuelles Pärchen? Check. Und wer sich ‚etwas mehr traut’, setzt sogar ein Check hinter ‚Model mit Hijab’. Aber ist damit die Wende getan?

Privilegien erkennen und Möglichkeiten teilen

Nein, denn die aufgeklärte Gesellschaft durchschaut blind angeeignete Mechanismen, denn wenn der Instagram-Feed am Ende doch ‚white-washed’ aussieht, dann ist die interne Struktur im alten Denkmuster haften geblieben – neue Kampagne zum Trotz. Nun kann es sein, dass sich einige an dieser Stelle (unter)bewusst angegriffen fühlen. Die Konfrontation mit der Realität, unter anderem von jahrzehnte-, wenn nicht sogar jahrhundertelangem praktiziertem strukturellem Rassismus, tut weh, aber man muss sich ihr stellen, wenn man es besser machen möchte – und das betrifft mit großer Wahrscheinlichkeit uns alle. 

Im Jahr 2021 sollte man es jedenfalls besser machen wollen. Viele Denkweisen und daraus resultierenden Handlungen, die mit strukturellem Rassismus und unbewusster Voreingenommenheit assoziiert werden, sind angelernt. Und auch wenn keine boshafte Absicht hinter einer Aktion, einer Aussage oder einem Wort steckt, so kann sie für eine bestimmte Gruppe genau das sein: negativ, verletzend und exkludierend. Marginalisierte Gruppen, People of Colour und Menschen mit Beeinträchtigungen machen Erfahrungen, von denen viele selbst keine Ahnung haben, schlichtweg, weil sie sie nicht erleben. Wer also beispielsweise der Meinung ist, hier existiere kein Rassismus, der hat Rassismus (Gott sei Dank!) noch nie am eigenen Leib erfahren müssen. Aber nur, weil man ihn selbst nie erlebt hat, heißt das nicht, dass es ihn nicht gibt. Das nennt sich übrigens ‚Privilege’ – etwas als nicht problematisch wahrzunehmen, weil es kein Problem für einen persönlich ist.

Vielfalt im Unternehmen

Vielleicht hakt es bei einigen Unternehmen genau an dieser Stelle: Das Verständnis für die Situation. Viele arbeiten daher an einem inklusiven und diversen Personal. Der Business of Fashion Artikel ‚How to Hire a Chief Diversity Officer’ von Sheena Butler-Young befasst sich mit der Tatsache, dass sich die Modeindustrie um die Einstellung von Führungskräften im Bereich Diversity zwar bemüht, aber Unternehmen darauf achten müssten, nicht mehr Schaden anzurichten als Gutes zu tun. „[…] Es mangelt an Verständnis für die emotionale Belastung und den Tribut, den es für Menschen of Colour bedeutet, sich zu exponieren und verletzlich zu sein,” erklärt Martha Garcia, ehemalige Senior Communications Executive Hoka One One in Bezug auf die ehrlichen und teils unbequemen Konversationen, die es zu führen gilt, wenn sich intern strukturell etwas ändern soll. Sie verließ das Unternehmen im Januar dieses Jahres und leitet nun eine eigene Marketingagentur, die sich darauf spezialisiert hat, Marken bei der Erstellung von inklusiven Botschaften zu unterstützen. Theresa Watts, Vice President of Human Resources True Religion, verbrachte die ersten Monate damit, das Unternehmen auf Diversität umzupolen und musste im Zuge dessen ebenfalls durch eine Vielzahl unangenehme Gespräche. “„Ich denke, dass Organisationen oft groß anfangen wollen und in den Medien sagen wollen: ‚Wir haben diese Person für Vielfalt, wir haben diese neue Ressource und wir haben diese neue DEI-Abteilung (State of Diversity, Equity and Inclusivity (DEI) in Fashion)’“, erklärt sie und ergänzt: „Sie können ganz klein anfangen, indem sie die Kultur in ihrer Organisation verändern.“

Ein Unternehmen muss die Kultur, die Philosophie zunächst von innen heraus verstehen und im besten Fall auch leben. Inklusion und Diversität folgen dann auf natürliche Weise aus dieser Einstellung.

Die Bemühungen für eine bessere Gesellschaft als reines Marketingtool zu nutzen, trägt hingegen nur zur Problematisierung sowie Stigmatisierung des Themas bei. Die Auseinandersetzung mit dieser Thematik ist demnach mit einem hohen Maß an Verantwortung verbunden. Ist man sich dieser Verantwortung nicht ganz bewusst, richtet man, wie oben bereits erwähnt, mehr Schaden an als Gutes zu tun. Im Zeit Online Artikel ‚‚Germany’s Next Topmodel’ – Hype um Diversität’ kommt das deutsche Modelcasting-TV-Format daher nicht gut weg. „Der Hype um Diversität ist nicht die Lösung. Er ist oft Teil des Problems“, schreibt Ellen Kollender. „In diesem Diversity-Diskurs mangelt es an Sensibilität dafür, dass das inszenierte Anderssein nicht immer frei und selbst gewählt ist. Es kann auch aus der Notwendigkeit entstanden sein, Strategien im Umgang mit Ausgrenzung in einem klassistisch, rassistisch und sexistisch strukturierten Gesellschaftssystem zu entwickeln“ und damit genau konträr zu dem zu stehen, wofür Diversität eigentlich steht: der Bruch mit eindimensionalen Stereotypen. 

Übrigens zeigt eine Studie der Boston Consulting Group aus dem Jahr 2018, dass die Erhöhung und das Management von Diversität innerhalb der Teams zu einer verbesserten finanziellen Leistung für das Unternehmen führt. Wer also weniger Interesse an gesellschaftlichem Allgemeinwohl, sondern mehr am wirtschaftlichen Erfolg hat, sollte verstehen: diversity matters!

Dieser Artikel erschien in J’N’C News 2-2021.