Jan Thelen vom Streetwear-Label Recolution über Schrecken & Chancen der Corona-Krise

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Mitte März hat das Streetwear-Label Recolution bekannt gegeben, den Vertrieb in der DACH-Region auszubauen und seinen Wachstumskurs fortsetzen zu wollen. Das Vertriebsnetz soll in weitere europäische Märkte ausgebaut werden. Eco & Fair Fashion hat in den letzten zwei Jahren einen enormen Schub erhalten – dann kam Covid-19. Jan Thelen, Mitgründer von Recolution, ist bekannt dafür kein Blatt vor den Mund zu nehmen und hat uns ein Interview gegeben.

Bei Recolution standen bis zur Pandemie alle Zeichen auf Wachstum. Kannst du uns beschreiben, was die Corona-Krise für euch bedeutet?
Als norddeutsches Streetwear-Label illustriert es dieses Bild vielleicht ganz gut: Wir waren gerade dabei mit unserem kleinen Segelboot auf eine Reise ins Mittelmeer aufzubrechen. Das Wetter war heiter und die Aussichten rosig. Jetzt segeln wir urplötzlich mitten auf dem Atlantik, ein Sturm zieht auf und der Radar ist kaputt.

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Welchen Herausforderungen müsst ihr euch nun stellen?
Puh, wo soll ich anfangen? Mit einer nicht kalkulierbaren Ungewissheit in vielen Bereichen umgehen zu müssen, ist wohl die größte Herausforderung – neben dem fehlenden Cashflow und der nicht vorhanden Liquidität. Kurzarbeit in unserem Unternehmen Recolution einführen zu müssen und offene Rechnungen nicht zahlen zu können, sind auch durchaus schmerzhafte Erfahrungen und eine große Herausforderung.

Wie sieht es mit euren Produktionspartnern aus? Müsst ihr Aufträge stornieren? Wie kann man als Eco & Fair Fashion Brand auch in dieser Krise weiterhin fair agieren?
Das ist eine weitere große Herausforderung. Hier bin ich sehr eng im Austausch mit unseren Produzenten. Zum einen haben wir noch hohe Beträge der aktuellen Sommerauslieferung offen, die wir aufgrund der offenen Rechnungen seitens des Handels und der aktuell fehlenden Einnahmen nicht begleichen können. Zum anderen werden wir unsere Order um durchschnittlich 20 Prozent reduzieren müssen, da wir mit Stornierungen und Schließungen einiger Stores rechnen. Wir sind in diesen Punkten total transparent und offen mit allen unseren Partnern. Diese Art der fairen und offenen Kommunikation stößt auf viel Verständnis. Wir sitzen ja alle im selben Boot.

Jede Krise birgt auch Chancen, wenn man passende Lösungen findet. Was sind aus eurer Perspektive als Eco & Fair Streetwear-Label Lösungsansätze, um diese Krise gemeinsam mit allen Beteiligten zu überstehen?
Die Lösungen liegen – aus meiner Sicht – auch hier in Solidarität und Kreativität. Die Menschen, der Handel und auch unsere Produzenten stehen Seite an Seite und es entstehen innovative Projekte an jeder Ecke. Diese neuen Impulse können uns alle durch dieses Tal hindurchführen. Und natürlich viel viel Cash und Kredite =)

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Wie geht es dir denn persönlich? Wie gehst du mit den Ausgangseinschränkungen um?
Da ich selber aufgrund einer Autoimmunerkrankung zu der Risikogruppe gehöre, befinde ich mich nun schon in der vierten Woche in selbst auferlegter Quarantäne. Das Home-Office mit den täglichen Videochats gestaltet sich wider Erwarten als produktiver und effektiver als gedacht. Der menschliche Austausch fehlt natürlich, aber das ist ein aus meiner Sicht absolut akzeptabler Verzicht in diesen Tagen. Mehr Zeit mit der Familie und regelmäßiger Sport sind weitere positive Effekte.

Wir machen uns alle derzeit viele Gedanken um die Zukunft, sowohl persönlich wie auch beruflich. Möchtest du deine Gedanken mit uns teilen und einen Appell loswerden?
Die Welt befindet sich in einem Umbruch. Nach dieser schrecklichen Zeit, deren größte Schrecken uns wohl erst noch bevorstehen, wird die Welt nicht zu dem ursprünglichen Rhythmus zurückkehren können. Darin liegt aus meiner Sicht eine große Chance. Unsere hoch komplexe, globalisierte Wirtschaft wird sich mehr denn je hinterfragen und rechtfertigen müssen. Ist der Orderrhythmus, wie es ihn bisher gibt, noch der richtige Weg? Ist die teilweise im Juni schon beginnende Sale-Periode nicht ein großer Fehler im System? Dürfen große Unternehmen, die sich in guten Zeiten Milliarden in die Taschen stopfen, in Zeiten wie diesen ihre Partner in Fernost im Stich lassen und damit Millionen Menschen dem Hunger aussetzen? Dürfen diese Unternehmen mit als Erste anfangen, ihre Mieten nicht mehr zu zahlen und die Hände beim Staat aufzuhalten?

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Unser Planet dankt es uns.

Aus meiner Sicht sind dies die völlig falschen Signale in einer Zeit, wo Menschlichkeit und Solidarität gefragt sind. Die Konsumenten werden diese Entscheidungen und das Verhalten dieser Konzerne registrieren und nach dieser Krise hoffentlich in ihren Kaufentscheidungen ausdrücken. Ich glaube an eine humanere, solidarischere und bewusstere Welt nach dieser Krise. Und unser Planet dankt es uns ja bereits. Pure Ausbeutung, der alleinige Fokus auf Konsum und Wachstum und der Egoismus, der sich breit gemacht hat in den letzten Jahrzehnten, sind unter anderen die Treiber für unsere selbst gemachte Klimakrise, der eigentlich größten Herausforderung dieses Jahrhunderts. Jetzt, da die Welt still steht, erholt sich unsere Erde rapide und es können bereits Klimaziele eingehalten werden. Auch das kann eine große Chance sein.