Am 9. September 2019 wurde das staatliche Textilsiegel Grüner Knopf für nachhaltige Textilien vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gelauncht. Grüner Knopf zertifiziert Produkte und Unternehmen, die festgelegte ökologische und soziale Kriterien einhalten. Geprüft wird das von unabhängigen Prüfstellen.
Das Siegel soll Endverbrauchern ermöglichen nachhaltige Mode auf den ersten Blick zu erkennen. Aber die Meinungen über die Kriterien sind kontrovers. Neben teilnehmenden Unternehmen wie Aldi und Tchibo gehören auch Marken wie Hess Natur, Vaude und Melawear zu den ersten, die mit Grüner Knopf zertifiziert sind. Andere nachhaltige Brands wie Wunderwerk und Recolution sprechen sich klar dagegen aus.
Wir haben zwei veritable Eco & Fair Fashion Brands aus Deutschland zu einem Pro & Contra gebeten. Henning Siedentopp, Geschäftsführer Melawear, befürwortet das staatliche Textilsiegel Grüner Knopf.
Wohingegen Jan Thelen, Geschäftsführer Recolution, das Zertifikat kritisch sieht.
Pro Textilsiegel Grüner Knopf – Henning Siedentopp, Geschäftsführer von Melawear
Melawear ist seit Gründung der Marke eco & fair, somit gehört Nachhaltigkeit zu den grundlegenden Markenwerten. Darüber hinaus ist Melawear engagiert, über Nachhaltigkeit zu informieren und zu diskutieren, beispielsweise im Podcast ‚Step into the future‘.
Ihr habt euch für das neue staatliche Siegel Grüner Knopf entschieden. Welche Kriterien und Standards des neuen Siegels haben maßgeblich dazu beigetragen?
Überzeugt hat uns, dass nicht nur einzelne Produktionsschritte berücksichtigt, sondern sowohl Unternehmens- als auch Produktkriterien abgeprüft werden. Unabhängig von einzelnen Kriterien, sind wir generell davon überzeugt, dass nur Siegel und Standards – und damit einhergehende Kontrollen durch Dritte – Nachhaltigkeit und Transparenz garantieren können. Als Teilnehmer im Textilbündnis war ein staatliches Textilsiegel für uns eine absolute Notwendigkeit und logische Konsequenz. Somit stand für uns fest, dass wir uns mit ‚Grüner Knopf‘ zertifizieren lassen. Das Siegel ist ein wichtiger Baustein für eine nachhaltige Entwicklung der Textilindustrie und entscheidend, um sozial und ökologisch produzierte Mode sichtbar zu machen und in die Mitte der Gesellschaft zu tragen.
Textilsiegel Grüner Knopf inkludiert strenge Kriterien
Es gab im Vorfeld viele Gespräche seitens des zuständigen Bundesministeriums, auch mit etablierten Eco & Fair Fashion Brands. Inwiefern war Melawear beteiligt und konnte Einfluss bzgl. der Siegel-Kriterien geltend machen?
Wir konnten unser Fachwissen und unsere Expertise schon während der Entstehung des Siegels einbringen und haben uns dafür eingesetzt, dass es möglichst strenge Kriterien inkludiert. Uns war beispielsweise wichtig, dass ‚Grüner Knopf‘ nicht damit wirbt, ein Siegel für fair und ökologisch produzierte Textilien zu sein. ‚Fair‘ müsste unserer Meinung nach nämlich Themen wie existenzsichernde Löhne beinhalten. Solange das Siegel dies nicht berücksichtigt, ist es eben ‚nur sozial‘.
Die Einführungsphase von Grüner Knopf endet am 30. Juni 2021. Bis dahin soll das Siegel kontinuierlich nachgebessert werden. Welche Kriterien müssen deiner Ansicht nach ergänzt werden?
Ziel sollte sein, die gesamte Lieferkette abzudecken. Aktuell werden bei den Produktkriterien die Nassprozesse und die Konfektionierung berücksichtig. Es fehlt also etwa die Faserebene (Faseranbau und Fasererstellung), die bei uns durch Fairtrade Cotton Standard und GOTS abgedeckt wird. Außerdem müssen existenzsichernde Löhne in einem realistischen Zeitfenster verbindlich vorgeschrieben werden. Für diese Themen setzen wir uns bei der Weiterentwicklung des Siegels besonders ein.
Melawear nimmt teil ebenso wie Discounter
Aus Pressemitteilungen bspw. seitens des Handelsverbands Deutschland ist zu entnehmen, das Siegel sei nicht massenmarkttauglich, weil viele Unternehmen die hohen Standards von Grüner Knopf nicht zuverlässig kontrollieren könnten. Hat man denn nicht die goldene Mitte gefunden?
Die durchmischten Teilnehmer des Siegels zeigen ja, dass eine ‚goldene Mitte‘ gefunden wurde: Nachhaltige Fashion Brands wie Melawear nehmen daran ebenso teil wie Discounter und Einzelhandelsunternehmen. Wir bedauern es jedoch sehr, dass nicht mehr Modeunternehmen dabei mitmachen. Ein staatliches Siegel sollte immer ein Qualitätssiegel darstellen, das nicht einfach eine Masse an Produkten zertifiziert, sondern in diesem Fall besonders nachhaltige Textilunternehmen bzw. Produkte auszeichnet.
Contra Textilsiegel Grüner Knopf – Jan Thelen, Geschäftsführer Recolution
Recolution feiert 2020 zehnjähriges Bestehen und hinsichtlich Nachhaltigkeit möchte man meinen, dass die Brand alles richtig macht: Peta-approved vegan, Materialien wie zertifizierte Biobaumwolle und Tencel, faire Produktion, alles GOTS-zertifiziert und weitest möglicher Verzicht auf Plastik.
Es sind wohl kaum die Prüfkriterien von Grüner Knopf, die euch abhalten, Teil des Siegels zu sein. Warum verzichtet ihr trotzdem?
Es sind in der Tat genau die Prüfkriterien, die uns davon abhalten – nur aus dem entgegengesetzten Blickwinkel. Wir arbeiten hart für unsere Glaubwürdigkeit und betreiben einen hohen finanziellen und teamseitigen Aufwand dafür. Neben den von euch genannten Punkten und Kriterien, werden wir in den kommenden zwei Jahren Zeit und Geld investieren, um Mitglied der Fair Wear Foundation zu werden. Darüber hinaus werden wir klimaneutral, plastikneutral und treten den Prinzipien der Gemeinwohlökonomie bei.
Textilsiegel Grüner Knopf – Einladung zum Greenwashing
Das neue staatliche Siegel untergräbt genau diese Glaubwürdigkeit. Der Endkonsument wird dem Siegel vertrauen, wie es im Nahrungsmittelbereich z.B. beim Fairtrade Zertifikat der Fall ist. Ich halte das eigentlich für exakt den richtigen Weg, um es dem Konsumenten so einfach wie möglich zu machen, ‚grüne‘ Produkte zu erkennen. Der Haken ist, dass der aktuelle Stand des Siegels eine Einladung zum Greenwashing ist.
Was muss aus eurer Sicht ein Siegel leisten, damit es euren Ansprüchen an Nachhaltigkeit gerecht wird?
Das ist ziemlich einfach. Aus meiner Sicht gibt es zwei Komponenten, die ein faires Produkt ausmachen. Die eine Komponente ist der Mensch und die andere die Umwelt. Die Umweltkomponente entspricht im Textilbereich der Faserebene. Und die macht meiner Meinung nach 50 Prozent eines nachhaltigen Textilproduktes aus. Bei Grüner Knopf findet diese Komponente keine Berücksichtigung. In der Pilotphase bis 2021 werden aktuell nur die Teilbereiche ‚Nähen und Zuschneiden‘ sowie ‚Färben und Bleichen‘ berücksichtigt. Umweltschädliche Viskosefasern sind aktuell genauso zugelassen wie PFC-basierte Imprägnierungen, die einen unglaublich negativen Impact auf die Umwelt haben. Die zweite Komponente des Siegels befasst sich mit den Menschen und ihren Arbeitsbedingungen. Hier ist Grüner Knopf schon sehr weit und auf dem richtigen Weg.
Eine der giftigsten und menschenverachtendsten Industrien
Aus Pressemitteilungen bspw. seitens des Handelsverbands Deutschland ist zu entnehmen, das Siegel sei nicht massenmarkttauglich, weil viele Unternehmen die hohen Standards von Grüner Knopf nicht zuverlässig kontrollieren könnten. Damit kritisieren diese natürlich aus der genau gegensätzlichen Perspektive das neue Siegel. Hat man denn nicht die goldene Mitte gefunden?
Wir haben es bei der Textilindustrie mit einer der giftigsten und menschenverachtendsten Industrien zu tun. Unternehmen, die diese von ‚Grüner Knopf‘ definierten Kriterien als nicht massentauglich bewerten, haben aus meiner Sicht nicht vor, irgendwas zu verbessern. In Zeiten von ‚Fridays for Future‘ sollten sich alle Unternehmen doch langsam ernsthaft die Frage stellen, ob der Raubbau an Mensch und Natur sowie die Profitmaximierung als einzige Philosophie noch Zukunft haben.