Made in Europe: Wildling Shoes im Fokus

Hannah Ringwald, Lead Supply Chain Sustainability bei Wildling ShoesFoto: Cherie Birkner

Vor etwa 70 Jahren verlagerte ein Großteil der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie ihre lokalen Produktionsstätten. Die aktuellen globalen Krisen in der Branche und insbesondere das jüngst verabschiedete deutsche Lieferkettengesetz haben die Debatten über komplexe und weltweite Lieferketten erneut verstärkt. Gleichzeitig erleben in der heutigen Zeit Produkte mit der Aufschrift ‚Made in Germany‘ oder ‚Made in Europe‘ eine Renaissance. Viel Hype um Nichts? Was sagen Vertreter:innen aus dem Metier? Wir haben mit Hannah Ringwald, Lead Supply Chain Sustainability bei Wildling Shoes gesprochen. Mehr zu dem Thema ‚Made in Europe‘ sowie viele weitere Gesprächspanels rund um Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit in der Modebranche gibt es auf der Fashion Changers Konferenz am 20. Oktober 2023 in Berlin.

Foto: Nick Vass

Liebe Hannah, wie wichtig ist Verbraucher:innen Ihrer Meinung nach heutzutage das Siegel ‚Made in Germany‘ oder ‚Made in Europe‘ und welche unternehmerischen Herausforderungen verbergen sich hinter dem Claim?
Auch wenn man sagen kann, dass hierzulande bestimmte Infrastrukturen und Überwachungsmechanismen bestehen, die sowohl Arbeiter:innen schützen als auch Umweltauswirkungen kontrollieren, können wir nicht davon ausgehen, dass die Arbeitsbedingungen immer fair sind oder das ganze Produkt nachhaltiger ist, nur weil es ein ‚Made in Germany‘-Gütesigel hat. ‚Made in Germany‘ oder ‚Made in Europe‘ werden verwendet, um entweder zu suggerieren, dass die Qualität oder die Nachhaltigkeit des Produkts besser ist als solche, die kein Siegel haben. Diese Assoziation kann problematisch sein, da eine in Deutschland ansässige Produktion noch lange nicht bedeutet, dass es ein nachhaltiges Produkt ist oder gar deutschen Ursprung hat. Dies kann für Verbraucher:innen oft irreführend sein, denn die Lieferkette der meisten Bekleidungsstücke ist global, und der Ursprung der verwendeten Rohstoffe liegt daher oft außerhalb der Bundesrepublik. Die Umstrukturierung der Produktion von Europa in Niedriglohnländer hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass der Schwerpunkt bei Forschung, Innovation und Initiativen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen hauptsächlich auf Länder außerhalb Europas lag. 

Lotus Hausschuh Wildling Foto: Presse

Wer sich verpflichtet, nachhaltig zu handeln und zu leben, verspricht, sich zu commiten. Welche langfristigen Ziele verfolgt Wildling in Bezug auf nachhaltige Produktion, Kreislauffähigkeit und Zirkularität?
Nur wenn wir unseren Impact auf die Umwelt genau verstehen, können wir konkrete Maßnahmen entwickeln, um ihn effektiv zu verringern. Da die Kreislauffähigkeit bereits beim Design beginnt, schauen wir uns an, was wir in dem frühen Produktstadium verändern müssen – Schuhe sind dabei besonders komplex. Die Prinzipien der Modularität und des Monomaterials dienen uns als Leitgedanken im Designprozess. Auf der anderen Seite stehen technische Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, um Schuhe sowohl tragbar, langlebig, als auch produzierbar zu gestalten. Unser Hausschuh, der Lotus, kommt bisher einem komplett zirkulären Produkt am nächsten. Er besteht aus nur drei Hauptkomponenten: Obermaterial, Nähgarn und Sohle. Das Upper besteht dabei zu 100 Prozent aus biozertifizierter Wolle, die von Landschaftsschutzprojekten in Deutschland bezogen wird. Die Sohle kann nach der Nutzungsdauer als Recyclat in die Herstellung neuer Sohlen integriert werden – dafür entwickeln wir momentan einen internen Recyclingkreislauf. Um den Schuh komplett kreislauffähig zu gestalten, arbeiten wir noch an Lösungen für das Garn und den Klebstoff. Außerdem bieten wir einen Repair Service an, damit unsere Schuhe so lange wie möglich getragen werden können.

Es wird in der Textil- und Schuhproduktion aber auch generell viel Greenwashing betrieben. Welche Sustainability-Lüge würden Sie gerne sofort aus dem Weg räumen?
Oh, da gibt es einige. Ich finde es ist wichtig, die mentale Verknüpfung zwischen Konsum und Nachhaltigkeit aufzulösen. Denn das nachhaltigste Handeln besteht darin, gar nicht zu konsumieren oder die Schuhe, die wir bereits besitzen, möglichst lange und häufig zu tragen. Durch zeitloses Design, langlebige Materialien, Bereitstellung von Reparaturmöglichkeiten und achtsamen Umgang während der Nutzungsphase können Designer:innen, Produzent:innen, Unternehmen und Konsument:innen gemeinsam daran arbeiten, die Umweltauswirkungen von Schuhen entscheidend zu reduzieren.

Wunschgedanke oder Realität? Glauben Sie an eine gänzlich nachhaltige Modeindustrie?
Bekleidung wird immer einen sozialen und ökologischen Impact mit sich bringen. Daher sollten Unternehmen diesen messen und Verbesserungsmaßnahmen initiieren, um die Auswirkungen auf Menschen und Natur so gering wie möglich zu halten. Da Modeunternehmen in einem System wirken, benötigt es mehr Zusammenarbeit und Synergien innerhalb der Industrie, um die Herausforderungen zu bewältigen. Nachdem freiwillige Initiativen die Industrie in den letzten Jahren dominiert haben, erleben wir momentan ein Momentum, in dem endlich Gesetze implementiert werden, wie beispielsweise das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder den EU Green Claim Directive. Verpflichtende Regelungen helfen dabei die ganze Branche in Bewegung zu bringen und damit den Umwelteinfluss der gesamten Industrie zu verringern.

Foto: Presse

About Wildling Shoes:
Die 2015 gegründete Marke Wildling Shoes aus Engelskichen bei Gummersbach verfolgt mit seinem innovativen Ansatz, Füßen möglichst viel Freiheit zu geben. Auf die Idee dafür brachten das Gründerpaar Anna und Ran Yona ihre eigenen Kinder. Diese sind in der israelischen Hafenstadt Haifa barfuß aufgewachsen. Laut Orthopäd:innen ein wahrer Segen für die Füße, jedoch nach einem Umzug nach Deutschland kaum noch umsetzbar. Nach fast zwei Jahren intensiver Entwicklungsarbeit war das Ziel erreicht: Ein Schuh, der den Fuß vor äußeren Einflüssen und Wetterbedingungen schützt, gleichzeitig jedoch weder seine natürliche Bewegung noch gesunde Entwicklung einschränkt, denn das bewusst fehlende Fußbett trainiert die Sehnen, Bänder und die Muskulatur. Umweltbewusstsein und die Optimierung der eigenen Lieferketten sind dabei stetiger Teil der Marken-DeNA und stellt die Weichen für die Zusammenarbeit mit Lieferant:innen und Kooperationspartner:innen. Ein Beispiel ist die Kooperation mit Rewildling Portugal, die in Zusammenarbeit mit Schäfern die Renaturierung, sprich die aktive Widerherstellung des portugiesischen Côa-Tals fördert. Rewildling Portugal stellt dabei den Schäfern Herdenschutzhunde und Zäune zur Verfügung, sodass Wölfe und Schafe ohne Gefahr nebeneinander koexistieren können, mit dem Ziel, dass die Wolfspopulation in der Region wieder wachsen kann. Wildling lauft die Wolle der Schäfer zu einem überdurchschnittlichen Preis und möchte die Schäfer damit motivieren, am Programm teilzunehmen. Aus der Wolle verschiedener Schafrassen konnte Clara Rings, zuständig für Sustainable Sourcing Projekte bei Wildling, gemeinsam mit ihren Kolleg:innen eine eigene Lieferkette innerhalb eines 150 km Radius schaffen – Made in Europe durch und durch.

Alle Informationen zu Fashion Changers, dem Programm, den Tickets sowie den jeweiligen Speaker:innen unter fashionchangers.de.