Interview mit Jan Eggers über den Status der indischen Textilfabrik Purecotz während der Krise

Textilfabrik
Foto: Photo by Suzanne Lee for Fairtrade - National Fairtrade Organizations

Die Covid-19 Pandemie betrifft nicht nur Brands, Handel und Agenturen in Europa. Auch die Textilfabrik Purecotz in Indien steht still, seitdem dort am 24. März der Lockdown beschlossen wurde. Das indische Unternehmen ist Anfang des Jahres als erste Näherei nach dem Fairtrade Textilstandard zertifiziert worden. Das bedeutet für die rund tausend Angestellten Existenz-sichernde Löhne innerhalb der nächsten sechs Jahre zu erhalten. Wir haben mit Jan Eggers, Sustainability Manager und Fairtrade-Beauftragter, über mögliche Auswirkungen der Krise gesprochen.

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Foto: Presse

Wie geht es dir persönlich? Wie fühlst du dich so weit weg von Heimat und Familie?
Mir geht es persönlich gut. Ich bin gesund und mir fehlt es an nichts. Ich bin seit 20. März isoliert und arbeite im Homeoffice. Das heißt ich werde mindestens bis Mitte April vier Wochen zurückgezogen leben. Und ja, das wirkt sich emotional aus. Mir wird durch diese Phase bewusst, was Freiheit bedeutet und wie sehr ich es vermisse einfach hinausgehen zu können, um frische Luft zu schnappen, einkaufen zu gehen oder zu tun worauf ich gerade Lust haben. Mit meiner Familie und Freuden stehe ich im regelmäßigen Austausch. Ich werde aber in Indien bleiben und hier weiter meinen Weg gehen. Meine Zukunft sehe ich nicht gefährdet, im Gegenteil, seit ich in Indien bin, habe ich viel gelernt und freue mich auf die kommende Zeit.

Was bedeutet die durch Corona entstandene Krise für Purecotz als zertifizierte, indische Textilfabrik?
Diese Krise betrifft die gesamte Textilindustrie. In Bezug auf Zertifizierungen und Nachhaltigkeit spielt die Corona-Krise für uns eine besondere Rolle, weil es sich in der nachhaltigen Textilindustrie bei den Marken oft um kleinere Unternehmen handelt als bei den konventionellen Marken, was auf fast alle unsere Kunden zutrifft. Diese Brands sind noch stärker von laufenden Verkäufen abhängig, die wiederum auf Grund der Schließungen im Einzelhandel erheblich zurückgegangen sind. Daher warten wir darauf, dass unser Kundenstamm sich ein klareres Bild von der Situation machen kann. Wir hoffen natürlich, dass die Auswirkungen auf uns so minimal wie möglich sein werden. Sprich, dass Bestellungen und Lieferungen zwar verschoben, aber nicht storniert werden. Einer unserer wichtigsten deutschen Kunden ist Melawear. Die Brand hat uns einen sehr positiven Ausblick auf auf ihre bevorstehenden AW20-Bestellungen gegeben und auch schon SS21 angestoßen. Das macht uns Mut und motiviert uns in diesen schwierigen, unsicheren Tagen.

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Foto: Melawear

Seit 24. März gilt in Indien eine vollständige Ausgangssperre. Wie trifft euch der Lockdown? Ich nehme an, so etwas wie Kurzarbeit gibt es bei euch in der Textilfabrik nicht. Welche Konsequenzen hat das für die Angestellten von Purecotz?
Unsere Produktion in der Textilfabrik ist seit dem 23. März geschlossen und wird bis Mitte April geschlossen bleiben – vorausgesetzt der landesweite Lockdownn wird nicht verlängert.
Wir können im Moment keine Bestellungen versenden. Wir können auch nicht produzieren. Hunderte unserer Mitarbeiter können also zur Zeit nicht arbeiten. Wir warten auf ausstehende Rechnungen, um das Geschäft langfristig aufrecht erhalten zu können. Wir können die Zukunft nicht vorhersehen, hoffen aber, dass wir nach dem Lockdown wieder zur Normalität zurückkehren. Wir werden die Geschäfte sicher wieder aufnehmen. Es mag sich ändern, aber wir hoffen auf das Beste. Kurzarbeit gibt es in Indien nicht. Aber wir möchten weder jetzt noch in naher Zukunft, nachdem sich die Situation beruhigt hat, Mitarbeiter entlassen.

Textilsiegel Grüner Punkt auch im Rucksack von Melawear
Rucksack von Melawear. Foto: Melawear

Das Jahr hatte für euch gut angefangen, denn ihr seid die erste mit dem Fairtrade Textilstandard zertifizierte Textilfabrik. Könnt ihr die Voraussetzungen dafür im Augenblick überhaupt umzusetzen? Und wie äußert sich Fairtrade dazu?
Die aktuelle Situation hat keinen direkten Einfluss auf die Zertifizierung. Wir stehen in Kontakt mit der Zertifizierungsstelle von Fairtrade und unser bevorstehendes Audit wird zunächst verschoben. Aber wir beabsichtigen, uns an den Plan in Bezug auf unser Engagement zur Zahlung Existenz-sichernder Löhne zu halten. Wir als Textilfabrik werden aber erst dann Schlussfolgerungen daraus ziehen können, nachdem wir die endgültigen Auswirkungen der Krise vorliegen haben.
Wir sind bestrebt zu tun, was immer nötig ist, um die Auswirkungen auf die Anforderungen, die wir für das Fairtrade-Zertifikat erfüllen müssen, so gering wie möglich zu halten. Wir sind sicher, dass Fairtrade für uns wie auch für andere Unternehmen bereits Pläne hat.

Wie sieht es beieuren Lieferanten aus, gibt es Engpässe? Ist ein Dominoeffekt zu befürchten?
Während der landesweiten Ausgangssperre sind alle Textilbetriebe entlang der Lieferkette betroffen – und ja, auch unsere Lieferanten begegnen momentan denselben oder ähnlichen Herausforderungen. Selbstverständlich macht die durch Covid-19 ausgelöste Krise vor den Bauern ebenfalls nicht halt, die werden aber von der indischen Regierung zur Zeit mit Direktzahlungen finanziell unterstützt. Es muss jedoch angemerkt werden, dass die meisten Baumwollfarmer neben Baumwolle auch Obst, Gemüse oder Getreide anbauen. Diese lebensnotwendigen Güter dürfen und müssen selbst jetzt noch verkauft werden.

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Foto: Melawear

Was sind oder können Lösungen sein, um diese Krise gemeinsam mit allen an der Textilkette Beteiligten zu überstehen?
Es gibt nur eine Lösung und die lautet Zusammenarbeit. Gemeinsam mit unseren Kunden, den Modemarken, müssen wir Pläne für die Zeit nach Corona entwickeln. Es können beispielsweise die Bestellmengen angepasst oder gleichmäßig auf mehrere Monate aufgeteilt werden. Auf die Art könnte der Abverkauf leichter realisiert werden. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, die Zahlungsmodalitäten beiderseits anzupassen. Wir glauben fest daran, dass die Wirtschaft wieder an Fahrt aufnehmen wird. Doch vielleicht wird sich das Tempo verlangsamen. Der Konsum ändern. Einfach weil man feststellt, wie fragil unser Wirtschaftssystem ist und wie groß die Abhängigkeiten sind. Daraus kann resultieren, dass man reflektiert, worauf es am Ende des Tages wirklich ankommt.

Gibt es einen Appell, den du loswerden möchtest?
Wir sollten die Krise als Chance nutzen und vor allem in Hinblick auf den Umgang mit und den Konsum von Textilien überdenken. Ich wünsche mir, dass der Druck seitens der Konsumenten auf die Brands spürbar zunimmt. Die Brands müssen ihrer Verantwortung als Unternehmen gerecht werden. Marken müssen endlich Mode verantwortungsvoll herstellen und das heißt auch, Produzenten aktiv zu unterstützen, damit diese ihren Beitrag leisten.

Mein Appell: Stoppt die Überproduktion, überdenkt die immer noch vorherrschende saisonale Orientierung hin zu Basiskollektionen, die sukzessive mit modischen Trend Pieces erweitert werden. Nach Covid-19 sollten Lieferketten und Produktionsstandorte überdacht werden. Ein Wandel der Textilindustrie hätte schon längst stattfinden müssen. Jetzt ist die Zeit gekommen, um Veränderungen voranzutreiben. Unabhängig vom geforderten Wandel, wünsche ich mir, dass Marken nicht einfach nur Bestellungen im großen Stil streichen und somit deinen Dominoeffekt herbeiführen. Millionen von Menschen stehen (weltweit) ohne Arbeit da und haben aktuell keine Perspektive. Anpassungen sind gefragt. Die Menschen – und zwar alle – entlang der gesamten Wertschöpfungskette müssen in den Fokus treten.

Weitere Informationen unter purecotz.com