Künstliche Intelligenz (KI), insbesondere generative KI, bietet der Modeindustrie spannende Möglichkeiten – von verbesserten Vorhersagen bis hin zur Reduzierung von Überproduktion. Doch zugleich mehren sich kritische Stimmen, vor allem wegen des hohen Energieverbrauchs solcher Technologien. Wie lässt sich KI in der Mode sinnvoll und nachhaltig einsetzen? Amanda Lee McCarty, Gründerin des Podcasts ClothesHorse, spricht im J’N’C-Interview über die Chancen, Herausforderungen und den tatsächlichen Einfluss von KI auf die Nachhaltigkeit in der Modewelt – und ob der AI-Backlash wirklich bevorsteht.
KI wird als ein Werkzeug gepriesen, das die Modeindustrie verändern könnte, insbesondere um die Überproduktion von Textilien zu reduzieren. Können Sie erklären, wie KI zu besseren Prognosen und Entscheidungen in diesem Bereich beiträgt?
Ich habe fast zwei Jahrzehnte lang als Einkäuferin in der Modebranche gearbeitet. Während viele Menschen in meinem Umfeld annahmen, dass ich ‚für meinen Lebensunterhalt einkaufe‘, verbrachte ich in Wirklichkeit die meiste Zeit damit, Daten zu analysieren und anhand dieser Daten Entscheidungen darüber zu treffen, was und wie viel ich kaufen sollte. Die Vorhersage der Verbrauchernachfrage nach Stil, Größe und Farbe ist viel komplexer, als man sich vorstellen kann. Als Einkäuferin nutzte ich die Daten, um das Risiko zu minimieren, das falsche Modell in der falschen Menge zu bestellen. Doch die Werkzeuge, die mir für diese Entscheidungen zur Verfügung standen, waren erstaunlich simpel: in erster Linie Tabellenkalkulationen, ein Taschenrechner und meine eigenen Fähigkeiten zum kritischen Denken.
Ich glaube fest daran, dass KI bei der Verarbeitung großer Mengen von Verkaufsdaten sehr hilfreich sein könnte, um Trends im Verbraucherverhalten zu erkennen. Dies könnte Marken dabei helfen, ihre Kaufentscheidungen zu verfeinern, insbesondere nach Größe. Jedes Mal, wenn ich über die Möglichkeiten der KI in der Modebranche nachdenke, werde ich an den katastrophalen Versuch der Fashionbrand Old Navy erinnert, erweiterte Größen anzubieten. Die Kunden mochten das Produkt, die Passform war ausgezeichnet, und es gab sicherlich eine Nachfrage nach mehr Größeninklusivität. Die Initiative war erfolglos, weil das Unternehmen nicht die richtigen Mengen an Größen bestellte. KI hätte hier ein nützliches Instrument zur Modellierung von Verkaufstrends nach Größen sein können. Dies hätte zu einem besseren Kundenerlebnis und einer geringeren Überproduktion von anderen Größen geführt.
Wo sehen Sie generell einen greifbaren, positiven Einfluss der KI auf die Nachhaltigkeitsbemühungen, und wo sehen Sie mögliche Stolpersteine, an der sie scheitern könnte?
Wir können die Tatsache nicht ignorieren, dass KI ziemlich viel Energie verbraucht. Studien haben gezeigt, dass der Einsatz von KI für eine Aufgabe 30- bis 40-mal so viel Energie verbraucht wie der Einsatz einer ‚weniger intelligenten‘ Technologie für dieselbe Aufgabe. Der Einsatz von KI für Projekte, die die Umweltauswirkungen der Modeindustrie verringern, ist sinnvoll. Leider beobachte ich, dass sich die Modeindustrie stattdessen dafür entscheidet, KI für Aufgaben einzusetzen, die den Menschen tatsächlich ersetzen, insbesondere in kreativen Funktionen: KI wird eingesetzt, um Produkte zu entwerfen, Drucke zu erstellen und sogar Texte für Produktseiten zu schreiben. Immer mehr Marken lassen ihre Teams Midjourney nutzen, um neue Styles zu kreieren und Drucke zu erstellen. Die Designer:innen adaptieren diese von der KI erstellten Bilder in technische Pakete und Druckdateien, anstatt ihre eigene Kunstfertigkeit und ihr Talent einzusetzen, um etwas Neues zu kreieren. Die Einzelhändler:innen sehen dies als ‚Gewinn‘ an, denn der Einsatz von KI für das Design gibt ihnen eine plausible Bestreitbarkeit, wenn sie mit dem Vorwurf konfrontiert werden, Designs von anderen Marken zu kopieren oder zu stehlen. Die Marken tun dies, während sie weiterhin überproduzieren und mit hohen Rücklaufquoten zu kämpfen haben. Es scheint, dass sie die falschen Prioritäten setzen.
Glauben Sie, dass wir angesichts der wachsenden Besorgnis über die Umweltkosten der KI auf einen KI-Backlash in der Modeindustrie zusteuern? Wie können wir die negativen Auswirkungen abmildern?
Niemand hat mehr Macht, den Kurs der Modeindustrie zu korrigieren, als diejenigen von uns, die Mode wirklich lieben. Alles beginnt damit, dass wir unsere Stimme erheben. Wenn eine Marke, die Sie lieben, künstliche Intelligenz einsetzt, um Drucke oder Designs zu entwerfen, sollten Sie nicht schweigen. Schicken Sie E-Mails. Sprechen Sie in den sozialen Medien darüber. Erzählen Sie es Ihren Freunden. Und was am wichtigsten ist: Kaufen Sie nicht bei diesen Marken ein, bis sie etwas ändern. Als Einkäuferin habe ich gelernt, dass nur zwei Dinge die Arbeitsweise der Modeindustrie verändern: das Gesetz und die Angst vor Umsatzeinbußen. Ich denke, dass der Einsatz von KI gesetzlich geregelt werden muss, weil sie so viel Energie verbraucht. Das wird einige Zeit dauern. In der Zwischenzeit werden die Marken wahrscheinlich sofort auf schlechte Verkaufszahlen von KI-generierten Kollektionen reagieren.
Amanda Lee McCarty wird am 1. Oktober an der Fashion Changers Konferenz als Speakerin teilnehmen und über das Thema KI unter dem Titel Fashion & (Generative) AI – zwischen Hype, Backlash und Chancen referieren.
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